Eine kurze Geschichte der Menschheit

„Vor rund 13,5 Milliarden Jahren entstanden Materie, Energie, Raum und Zeit in einem Ereignis namens Urknall. Die Geschichte dieser grundlegenden Eigenschaften unseres Universums nennen wir Physik.

Etwa 300.000 Jahre später verbanden sich Materie und Energie zu komplexeren Strukturen namens Atome, die sich wiederum zu Molekülen zusammenschlossen. Die Geschichte der Atome, Moleküle und ihrer Reaktionen nennen wir Chemie.

Vor 3.8 Milliarden Jahren begannen auf einem Planeten namens Erde bestimmte Moleküle, sich zu besonders großen und komplexen Strukturen zu verbinden, die wir als Organismen bezeichnen. Die Geschichte dieser Organismen nennen wir Biologie.

Und vor gut 70.000 Jahren begannen Organismen der Art Homo sapiens mit dem Aufbau von noch komplexeren Strukturen namens Kulturen. Die Entwicklung dieser Kulturen nennen wir Geschichte.“

So beginnt der israelische Universalhistoriker Yuval Noah Harari seine „Kurze Geschichte der Menschheit“. Kurz, prägnant, pointiert. Und eigentlich ungewöhnlich.

Rekonstruiert: Homo sapiens bei der Arbeit. Einst.

Rekonstruiert: Homo sapiens bei der Arbeit. Einst.

Folgen andere Werke zur Geschichte der Menschheit unweigerlich dem Aufstieg und Fall von Imperien, den Einflüssen von Zivilisationen und Kulturen, dem Wirken einflussreicher Personen, so folgt Harari dem Einfluss der Biologie, der DNA, der Sprache, des Mythos, des Geldes und letztendlich der Wissenschaft.

Zweimal nur taucht das Habsburger Reich auf. Glück hingegen kommt zehnmal vor, einmal im Zentrum einer essentiellen Frage. Stalin, Churchill, Roosevelt? Fehlanzeige. Dafür aber Karl Marx. Oder auch Adam Smith. Zwei Persönlichkeiten, deren Denken unser heutiges Denken grundlegend beeinflusst. Und dies nicht nur in Europa, sondern weltweit.

Harari der Universalhistoriker spürt unserer Vergangenheit nach. Den Brüchen, die uns zu dem werden ließen, was wir heute sind.

„Die Geschichte der menschlichen Kulturen wurden von drei großen Revolutionen geprägt. Die kognitive Revolution vor etwa 70.000 Jahren brachte die Geschichte überhaupt erst in Gang. Die landwirtschaftliche Revolution vor und 12.000 Jahren beschleunigte sie. Und die wissenschaftliche Revolution, die vor knapp 500 Jahren ihren Anfang nahm, könnte das Ende der Geschichte und der Beginn von etwas völlig Neuem sein.“

Es ist nun wirklich keine Heldensaga, die Harari verfasst. Wenngleich er die Geschichte unserer Art spannend erzählt. Spannend und fesselnd. Schnell und präzise. Der Historiker als großer Geschichtenerzähler.

Ikone: Homo sapiens (in diesem Fall Ed White) bei der Arbeit. 1965.

Ikone: Homo sapiens (in diesem Fall Ed White) bei der Arbeit. 1965.

Dazu zieht er sich auf einen Beobachterposten zurück. Er beschreibt aus der Distanz.

Professionell, zweifelsohne. Ein Standard geradezu für Historiker. In diesem Fall indes noch mehr.

Indem Harari ein paar Schritte zurückweicht, indem er das große Ganze zu umfassen versucht, weitet er den Blick seiner Leser. Nicht nur in Hinblick auf unsere nächste Verwandtschaft unter den Lebewesen.

Auch in Hinblick auf die Zukunft.

Seit geraumer Zeit werden Historiker immer öfter zu gegenwärtigen Problemlagen befragt. Zum Konflikt in der Ukraine. Zum Vormarsch fundamentalistischer Ideologien. Zur Komplexität der Gegenwart.

Denn wer, wenn nicht die Historiker, sollte in der Lage sein, den roten Faden zu erkennen, das Geschehen einordnen zu können, wenn sie es schon nicht erklären können. Historiker bieten Orientierung.

Yuval Noah Harari geht einen Schritt weiter. Er drängt sein Publikum geradezu, sich mit den aktuellen Entwicklungen der Wissenschaft zu befassen. Mit Bionik, mit Artificial Intelligence, mit Genetik.

Er sieht die Möglichkeiten, die sich heute und in absehbarer Zukunft bieten. Zur Optimierung unserer Körper beispielsweise. Er hört Visionäre wie Ray Kurzweil, die von der Verbindung Mensch-Maschine schwärmen. Er weiß nicht, wohin die Reise geht, aber er kennt den Homo sapiens. Er weiß, wie beiläufig sich Revolutionen ankündigen können. Und so skizziert Harari am Ende seines Buches das Ende der Geschichte. Des Homo sapiens, wie wir ihn kennen, wie wir sind. (fvk)

 

Yuval Noah Harari
Sapiens – A Brief History of Humankind
Random House/Vintage Books/Harvill Secker 2014

Eine kurze Geschichte der Menschheit
Random House/DVA 2015

Yuval Noah Harari Webpräsenz

Franziskus von Kerssenbrock

* 1966 Author, Journalist, Communications Expert Have written for various German and Austrian media (as DIE ZEIT, profil, DER STANDARD, HI!TECH, MERIAN, e.a.) Editor-in-chief at UNIVERSUM MAGAZIN Media Relations for Wirtschaftskammer Wien Head of Corporate Communications Oesterreichische Akademie der Wissenschaften Married, one son