Angst

Pfade der Furcht

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Schlicht „Angst“ lautet der Titel Joseph LeDoux´ aktuellen Buches. Wahrscheinlich ist kaum jemand besser geeignet, die hellen und die dunklen Seiten dieser Emotion zu beschreiben als der US-amerikanische Neurowissenschaftler. Seit über 30 Jahren erkundet der Psychologe an der New York University die neuronalen Grundlagen der Furcht. Er erkannte die Rolle eines kleinen Areals im Gehirn, des Mandelkerns (Amygdala), in Zusammenhang mit Angst und Furcht. Sowie Gefahr droht, treibt diese Region unseren Blutdruck in die Höhe, verursacht jagenden Puls und schärft unsere Sinne. Vor allem ist sie dafür verantwortlich, dass wir gefährliche Situationen nicht wieder vergessen.

So kann die Amygdala auf einmal gelernte Warnsignale reagieren noch bevor sie in der Hirnrinde vollständig verarbeitet, erkannt und ins das Bewusstsein vorgedrungen sind. Ein hoch notwendiger Impuls, der Mensch und Tier das Überleben sichert. Bisweilen leider mit höchst unangenehmen Nebenwirkungen verbunden Die emotionalen Erinnerungen, zum Beispiel an einen Geruch oder ein Geräusch, die mit Gefahr verbunden sind, sind eben in der Amygdala gespeichert. Sie können entkoppelt von den ursprünglich verbundenen und im deklarativen Gedächtnis abgelegten Erinnerungen überdauern. Und dann sorgen sie unversehens für Nervosität, für einen Schweißausbruch, für einen galoppierenden Puls. Einzig und allein, weil ein bestimmtes Geräusch ertönt oder ein spezifischer Geruch an die Nase dringt.

LeDoux stellte zudem fest, wie eine Erinnerung vom Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis übergeht. Und wie sich dieser Prozess umkehren lässt, um schon gespeicherte Langzeiterinnerungen gleichsam zu löschen.

Die Angst und ihre Formen aber gehen ihre eigenen Wege, nicht alle führen über die Amygdala. Manche führen direkt vom Hippocampus in den präfrontalen Cortex, dorthin, wo Entscheidungen getroffen werden. Diesen neuronalen Pfad hat ein Team rund um Stéphane Ciocchi und Thomas Klausberger von der Abteilung für kognitive Neurobiologie der MedUni Wien aufgedeckt. Dabei bedienten sie sich, wie LeDoux, des Tiermodells mit Ratten. Der Informationsfluss der Neuronen im Hippocampus wurde mit Hilfe einer opto-genetischen und elektrophysiologischen Untersuchungsmethode, die über Lichtreize funktioniert, analysiert.

Prinzipiell sendet der Hippocampus Informationen über Gedächtnis und Emotionen an eine Vielzahl anderer Gehirnregionen, die sich daraus gewissermaßen „bedienen“. Handelt es sich aber um Informationen zu „zielgerichtetem Verhalten“ und „Ängstlichkeit“ werden sie ohne Umwege und Streuung an den präfrontalen Cortex geschickt. „Wir haben die Pfade der Furcht gefunden“, so Ciocchi stark vereinfachend. Wobei die Unterscheidung zwischen Angst und Ängstlichkeit bedeutend ist. Letztere steht für die Furcht, sich einer bestimmten Situation auszusetzen. Angst hingegen ist eine unmittelbare Erfahrung. „Ängstlichkeit“, führt Ciocchi aus, „ist eine Mischung aus Erfahrung, genetischer Information und äußeren Umständen.“ Sie ist ein Zustand, der sich überwinden lässt – wenn die Aussicht auf Belohnung größer ist. Dieser Informationsfluss sei durchaus sinnvoll, „da die Intensität der Ängstlichkeit die Entscheidungsfindung in vielen Situationen des Lebens beeinflusst“. Auf jeden Fall biete die Arbeit nun die Grundlage für weitere klinische Studien. Die Erkenntnisse der Gruppe Ciocchi/Klausberger wurden im März 2015 in „Science“ veröffentlicht, im November letzten Jahres wurde Stéphane Ciocchi für seine Arbeit mit dem Sanofi-Preis für Medizinische Forschung in Österreich ausgezeichnet. (fvk)

 

Literatur:

„Selective information routing by ventral hippocampal CA1 projection neurons.“ S. Ciocchi, J. Passecker, H. Malagon-Vina, N. Mikus, T. Klausberger. Science, April 30, 2015.

„Angst“, Joseph LeDoux, ecowin, ca. 512 Seiten, € 26,–