Ehrendoktorat

Konrad Lorenz: Entzug ohne Erkenntnisgewinn

Mit Konrad Lorenz ist das so eine Sache. Da ist einerseits der Wissenschaftler, der Verhaltensforscher von Weltruf, der Nobelpreisträger. Dann ist da andererseits der Kulturpessimist Lorenz, der in der Moderne den Niedergang des Menschen sah, der ein „Zurück zur Natur“ propagierte, lange bevor die Grünen das zu ihrer Sache machten, der konsequent so manchen kruden Gedankengang aus den 30er und 40er Jahren bis in das späte 20. Jahrhundert weiterspann. Und schließlich ist da auch noch der NS-Karrierist Konrad Lorenz, der nach einer ersten Zurückweisung durch die Nazi-Wissenschaft, sich umso hemmungsloser andiente, anbiederte und mit der Naziideologie sich gemein machte.

Die Universität Salzburg hat ihm nun deswegen die Ehrendoktorwürde aberkannt. Weil ihr, der Universität, zum Zeitpunkt der Verleihung, Lorenz´ Verstrickung mit dem Nazi-Regime nicht bekannt gewesen sei.

Ein Ehrendoktorat hat Gewicht. Es sollte Gewicht haben, nicht einfach ein Dutzendtitel sein. Seine Träger sollten bestimmten Kriterien genügen. Sie müssen also herausragende Forscher sein, Nobelpreisträger zum Beispiel. Sie sollten zum Verständnis ihres Forschungsgebiets maßgeblich beitragen, Kommunikatoren im besten Sinne des Wortes sein.

Beides trifft auf Lorenz zu. Wäre da, aus Sicht der Universität, nicht seine Verquickung mit den Nazi, sein offensives Werben um Zuneigung, Vertrauen, Posten und Forschungszuschüsse. Das hat damals schon Freunde und Wegbegleiter irritiert. Dass die Universität Salzburg davon nichts gewusst haben will, das ist erstaunlich. Aber sei´s drum.

Konrad Lorenz ist ein perfektes Beispiel dafür, wie leichtfüßig und bereitwillig sich Menschen mit totalitären Regimen einlassen, so sie sich daraus Vorteile versprechen. Daniel Goldhagen spricht von „Hitlers willigen Vollstreckern“, von der Kumpanei zwischen Volk und Regime, als es darum ging, Beute zu machen. Erst im Inneren durch Entrechtung, Vertreibung, Denunziation und Arisierungen, dann in ganz Europa durch Eroberungen, Plünderungen und Massenmord. Die Jahre zwischen 1933 und 1945, das ist die Zeit der größten Vermögensumschichtung in der deutschen und der österreichischen Geschichte.

Diese Allianz aus Tätern hält bis zur letzten Minute. Mit Morden, Massakern, Todesmärschen direkt vor der Haustür braver Deutscher und Österreicher. Die davon nachher nichts geahnt, nichts gewusst haben wollen. Schwer zu glauben. Kaum zu glauben.

Doch auch Helmut Schmidt hat Zeit seines Lebens darauf beharrt, erst nach dem Krieg von den Verbrechen der Nazi erfahren zu haben. Vom vollen Ausmaß der Verbrechen. Der Wehrmachtsoffizier Schmidt, dem seine Vorgesetzten bescheinigen, im Sinne des Regimes ideologisch gefestigt zu sein. Woraus auch ihm, dem späteren deutschen Bundeskanzler, ein Vorwurf gemacht werden wird. Der Vorwurf, seine Biographie geschönt zu haben.

Das sind die Grautöne, die den Nachgeborenen so schwer zugänglich sind. Aus heutiger Sicht sind Licht und Schatten einfach auszumachen. Das war auch damals schon möglich. Nur eben nicht so einfach. Nicht, wenn man in einer Zeit aufwuchs, die von links bis rechts der Euthanasie, der Volksgesundheit, der Auslese das Wort sprach. Um zu Lorenz zurückzukehren.

Konrad Lorenz: Blick zurück ohne Bedauern (Foto ©Wikimedia/Max-Planck-Gesellschaft)

Konrad Lorenz: Blick zurück ohne Bedauern (Foto ©Wikimedia/Max-Planck-Gesellschaft)

Der hat leider nie klare Worte zu seiner Einlassung mit den Nazi gefunden. Er hat sich distanziert wo nötig und opportun. Er hat unterdessen seine Gedanken aus den 30er, 40er Jahren weitergesponnen, in die 60er, 70er und 80er Jahre hinein. Das ist, was an ihm tatsächlich irritiert.

Die Domestizierung der Haustiere ist ihm eine Verfallserscheinung, eine Degeneration. Eine, die auch auf den Menschen zutrifft, die seine Menschlichkeit bedroht. Während „Gangster“ sich „unbegrenzt und sorglos weiter reproduzieren“, zeige sich, dass „ethische Menschen nicht so viele Kinder haben“. Gegen die Überbevölkerung „hat die Menschheit nichts Vernünftiges unternommen. Man könnte daher eine gewisse Sympathie für AIDS bekommen“. Das alles ist Originalton Konrad Lorenz 1988. Das ist eine ungebrochene Kontinuität des Denkens seit den 30er Jahren. Das ist die dunkle Seite des Nobelpreisträgers. Das ist, was an ihm eigentlich unerträglich ist.

Aus gerade diesem Grund ist Lorenz so wichtig. Er bleibt einer, an dem man sich reiben kann, an dem man sich reiben muss. Seine Argumentation verfängt immer noch. Sie ist geradezu Stammtischallgemeingut. Sie feiert als „gesundes Volksempfinden“ fröhliche Urständ.

Lorenz die Ehrendoktorwürde abzuerkennen, dafür mag es gute Gründe geben. Sie allein an seinem Verhältnis zu den Nazi festzumachen, greift zu kurz. Die Jahre 33 bis 45 haben eine Vorgeschichte und eine Nachgeschichte. Es gälte, endlich auch die Kontinuitäten nach 45 zu betrachten. An den Universitäten, in der Politik, in der Wirtschaft, in Kunst und Kultur, in der Gesellschaft. Der Herr Lorenz ist auch in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Er entspricht vielmehr der Regel, ist ein Paradebeispiel.

Der Entzug durch die Universität Salzburg ist so gesehen eine vergebene Chance. Was hätte nicht alles durch eine intensive Beschäftigung mit den vielen Facetten Lorenz´, mit seiner Gedankenwelt und seiner Wirkmacht als populärer Forscher angestoßen werden können. Letztendlich ein besseres Verständnis unserer selbst.

So aber bleibt nur ein bürokratischer Akt. Ohne weiteren Erkenntnisgewinn. (fvk)