Woche 01 – Wut und Politik

Auch so hat 2024 begonnen: Wütende Landwirte wollten jene Fähre stürmen, auf der der deutsche Wirtschaftsminister und Vizekanzler Habeck aus dem Urlaub in den Alltag zurückzukehren plante. Der Gründe für die bäuerliche Wut sind viele und wurzeln tief, die geplante Verteuerung des Diesel war der Anlass.

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Demonstrationen, einen Empfang mit Trillerpfeifen und deftigen Parolen, das hat es gegeben, das gibt es und wird es geben. Das ist, was eine Demokratie aushalten muss. Wenn aber die Demonstranten versuchen, sich Zutritt zur Fähre zu verschaffen, wenn die Sicherheit und Unversehrtheit eines Menschen, in diesem Fall Herrn Habecks, nicht mehr gewährleistet werden kann, dann ist eine Grenze überschritten. Dann handelt es sich nicht mehr um Demonstranten, dann ist es ein Mob, von Wut gesteuert und außer Rand und Band. In Deutschland im Grunde genommen ein Fall von Landfriedensbruch. Die Ermittlungen laufen.

Damit aber ist das Problem nicht aus der Welt, der Umstand, dass immer wieder und immer öfter Proteste in Gewalt umschlagen, dass Galgen, Morddrohungen, Vernichtungsphantasien bei Aufmärschen schon zum gewohnten Bild werden, dass es vor den Häusern und Wohnungen von Politikern und anderen, in der Öffentlichkeit stehenden Menschen, Zusammenrottungen gibt.

Die Zeiten sind nicht einfach. Das waren sie nie, so komplex, wie sie sich derzeit gestalten, waren sie indes bisher selten. Entsprechend groß sind Unsicherheit und Verunsicherung. Weit verbreitet ist zudem der Eindruck, schlicht kein Gehör zu finden, zur Seite gedrängt zu werden, zu den Verlierern des Wandels zu zählen. Und das in einer Demokratie, die doch eigentlich Mitsprache garantiert, mithin die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen die Lebenswelt gestalten zu können.

Seit vor bald 14 Jahren Stéphane Hessels „Empört Euch“, ein schmales Pamphlet wider die herrschenden Zustände, die allen Idealen der französischen Résistance Hohn sprachen (und sprechen), erschienen ist, ist die Empörung als Haltung akzeptiertes Mittel der Politik. Während Hessel mit seiner Streitschrift noch das Ziel verfolgt, zu den als verloren wahrgenommenen Idealen zurückzukehren, ist die real gelebte Empörung alsbald ziellos geworden. In Erscheinung trat sie seither als Wutoma, als Wutbürger, als Wutwirt, als Wutwasweißichnochalles, die ihre Auftritte in Funk und Fernsehen hatten, die ihre ungefilterte Wut massenmedial zur besten Sendezeit zu Markte trugen.

Bisweilen sind Empörung und Wut ein notwendiges Ventil, sich Luft zu verschaffen. Im besten Fall werden sie zu Impulsen, tatsächlich gestaltend aktiv zu werden, sich politisch oder gesellschaftlich zu engagieren, seiner Stimme im demokratischen Rahmen Gehör zu verschaffen.

Die Empörung der letzten Jahre ist das Gegenteil. Sie ist blind vor Wut. Sie will zerschlagen, zertrümmern, sie will einen Rausch erleben, der andere zittern macht, der Macht verleiht. Wenigstens für den Moment.

Sie verliert sich zusehends in tiefinneren Überzeugungen, die in Verschwörungsmythen wurzeln oder in dem Gefühl, zu den Wenigen zu zählen, die die Wirklichkeit tatsächlich durchdringen und also sehend und wissend sind. Und – sie lässt sich instrumentalisieren. Von politischen Kräften, die darin eine Kraft erkennen, die sie ins Zentrum der Macht tragen kann.

Darauf baut der Erfolg der Freiheitlichen in Österreich auf, die sich an die Spitze der Coronawütenden gesetzt hat, jede noch so krude Theorie zu ihren Gunsten zu wenden weiß und offen, frank und frei verkündet, wer unter ihrer Regierung nichts mehr zu lachen hat. Darauf baut der Erfolg der AfD auf, jener von Frau Le Pen und der Schweizer Volkspartei. Daraus speist sich auch der Zuspruch zu Kommunisten auf regionaler Ebene in Österreich, zur extremen Linken in Frankreich und zur rinkslechts schillernden Frau Wagenknecht in Deutschland. Wut stärkt ausschließlich und nur die politisch radikalen Ränder. Das ist eine Konstante.

Wenn aber die Wut nur das Geschäft der Extreme befördert, ist die politische Mitte gefordert, Position zu beziehen. Darauf zu setzen, dass die Wut verrauchen würde, gibt man ihr nur die Möglichkeit, durch das Land zu ziehen und sich auf allen nur verfügbaren Plätzen zu manifestieren, greift zu kurz. Zu hoffen, sie irgendwie mit Zugeständnissen befrieden zu können, stachelt lediglich ihren Hunger nach mehr Zugeständnissen an und führt also in die Irre. Dann wird sie noch mehr zur treibenden Kraft, deren Sog immer weiter ausgreift.

Mit dieser Wut umzugehen ist kein Leichtes, genau deswegen sind Grenzen zu setzen. Grenzen, die neben der Gesetzeslage das in einer Demokratie produktive Ausmaß an Protesten definieren. Über die Konsens besteht und die verständlich und nachvollziehbar darlegen, wann sie überschritten sind, und ab welchem Zeitpunkt, ab welcher Eskalationsstufe man sich aus dem gesellschaftlichen Diskurs herausnimmt. Dazu zählt auch, dass das Verhalten der Seitenlinie kritisch betrachtet wird, die Wortwahl in Kommentaren großer Medien, die Kritik ad personam anstelle der Kritik in der Sache, der Hang zu Häme, zu Gering- und Lächerlich machen politischer Gegner gleich welcher Couleur, die permanente Zuspitzung der Pointe wegen. Das sind die Echoräume der Wut, die sie nicht allein spiegeln als vielmehr bestärken und verstärken, die sich mitreißen lassen, die im Sog des Geschehens ebendiesem zusätzlich Schwungkraft verleihen.

So wie einmal mehr die Politik gefordert ist. Sich zu erklären, direkt und ohne Social-Media-Filter, vor Ort und nicht allein im Hauptstadtstudio. Verantwortung zu übernehmen, zu leben und zu exekutieren. Und klar zu sein. In der Sache, in den Vorhaben, in den Perspektiven. Mit Schlingern ist der Wut nicht beizukommen. (fksk, 07.01.24)

Franziskus von Kerssenbrock

* 1966 Author, Journalist, Communications Expert Have written for various German and Austrian media (as DIE ZEIT, profil, DER STANDARD, HI!TECH, MERIAN, e.a.) Editor-in-chief at UNIVERSUM MAGAZIN Media Relations for Wirtschaftskammer Wien Head of Corporate Communications Oesterreichische Akademie der Wissenschaften Married, one son