Denkmalsturz und Bildersturm

Ausgerechnet Kant. Ausgerechnet der große Mann der europäischen Aufklärung, der Weltenbürger aus Königsberg, war – ein Rassist (im Nebensatz gleichsam nur und in der Marginalie. Einerlei, das Verdikt ist gefällt). Und also einer, dessen Denkmäler und Statuen, so wie jene des Sklavenhändlers Edward Colston, des Großkolonialisten Cecil John Rhodes oder König Leopolds, gestürzt werden sollen. In einem Aufwaschen, in einer durch und durch emotionalen Reaktion, sollen alle jene Monumente geschliffen werden, die an Männer (und ja, es sind tatsächlich fast ausschließlich Männer) erinnern, die in welcher Schattierung und Tiefe ihres Denkens auch immer rassistisch waren. Das ist die Lage.

Weg mit den alten Zöpfen… © Donovan Reeves /unsplash.com

Weg mit den alten Zöpfen…
© Donovan Reeves /unsplash.com

Es hat so ein Denkmalsturm ja etwas Befreiendes.

Anno 1989, als die gigantischen Statuen der realsozialistischen Heroen in Osteuropa fielen. 1918, als in den ehemaligen Kronländern Kaiser und Doppeladler in Metall und Stein und Marmor verschwanden. Während der Französischen Revolution und lange schon zuvor im Zuge religiöser Neuerungen, Spaltungen und Übernahmen. Bilderstürme und Denkmalstürze sind den Menschen wohlvertraut. Als Prozess der schnellen Reinigung, als eines Überwindens der Vergangenheit, als Sieg über einstmals herrschende Fürsten, rivalisierende Ideologien und Religionen. Schon vor rund 3300 Jahren ließen die ägyptischen Priester den Namen des Pharao Echnaton aus allen, oder fast allen, Inschriften kratzen, wollten ihn und seinen Monotheismus ein für alle Mal vergessen machen. Auslöschen.

Es ist ihnen nicht gelungen.

Geschichte lässt sich nicht ausmerzen. Sie ist.

Sie ist die Basis von Gegenwart und Zukunft. Als solche kann, als solche muss sie in allen ihren Facetten betrachtet und gewusst werden. Um daraus Schlüsse zu ziehen, auch zu der Frage, wer an wen wie, weshalb und wo erinnert.

Wer steht wo weshalb? © Ricardo Gomez / unsplash.com

Wer steht wo weshalb?
© Ricardo Gomez / unsplash.com

Wenn, nur als Beispiel, in den Südstaaten der USA die Generäle und Vertreter der nun wirklich rassistischen Konföderation auf öffentlichen Plätzen geehrt werden, dann ist das zum einen eine Botschaft an die weiße Bevölkerung (und war auch als solche gedacht), dass den Sezessionisten ungeachtet aller Differenzen, aller Gräuel des Bürgerkriegs zum Trotz von weiß zu weiß ein ehrendes Andenken gesichert ist. Man kann sagen, das Denkmal dient als Friedensangebot des weißen Nordens an den weißen Süden. Eine versöhnende Geste, so wie sie Kaiser Franz Joseph als König von Ungarn in Szene setzte, indem er den Offizieren der Hónved – die 1848 für die Unabhängigkeit von Habsburg gekämpft hatten – eine staatliche Pension zusprach. Ein Akt, der eine dringend benötigte Stabilität des Status Quo garantierte.

Nun hatten alle weißen Südstaatenheroen zu Pferd und auf einem Sockel eine zweite nicht minder wichtige Botschaft an die schwarze Bevölkerung: Glaubt nur nicht, dass sich wirklich etwas geändert hat.

Das hatte vor 150 Jahren unumschränkt Gültigkeit, das traf vor 100 Jahren zu und auch noch vor 50 Jahren. Seither aber hat sich zu viel verändert, als dass diese Monumente und diese expliziten Botschaften noch Bestand haben könnten. Nicht so wie bisher. General Lee und Co haben ausgedient. Sie verkörpern nur noch hohlen Pathos und verzweifelt rückwärtsgerichtetes Sehnen. Ein amerikanisches Trauma.

Was zählt? © Ehimetalor Akhere Unuabona / unsplash.com

Was zählt?
© Ehimetalor Akhere Unuabona / unsplash.com

Und doch ist es keine rein US-amerikanische Debatte und Angelegenheit. Zu eng sind die Vereinigten Staaten und Europa miteinander verflochten, als dass die Auswirkungen östlich des Nordatlantiks geflissentlich ignoriert werden könnten. Der Sklavenhändler und Wohltäter seiner Heimatstadt Bristol, Edward Colston, wurde in Gestalt seiner Statue partout in den Hafen gekippt. Leopold I., König der Belgier und Herr über den Kongo, wurde wieder einmal und sicher nicht zum letzten Mal vom Sockel geholt.

Löschen lassen sich damit die Verbrechen, und in beiden Fällen handelt es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Menschheit, explizit gegen Afrikaner, indes nicht. Der Sturz ist ein Ereignis des Augenblicks, verbunden mit wenigstens ein wenig Genugtuung. Spät, aber doch.

Tatsächlich geschehen ist damit nichts. Überwältigt ist der Rassismus noch lange nicht.

Exakt hier wird es interessant. Wie weit trägt der Rausch des Moments? Denn was ist nun mit Immanuel Kant? Was mit Winston Churchill? Der eine wirkmächtiger Philosoph der Aufklärung und des Rationalismus, der vom Weltbürger schrieb, der die zeitlose Forderung, man solle den Mut haben, sich seines Verstandes zu bedienen, formulierte. Der andere, jener Mann, der den Widerstand gegen und letztlich den Sieg über den Nazismus überhaupt erst ermöglichte. Nach heutigen Maßstäben auch sie Rassisten. Als solche Menschen ihrer Zeit.

Alle stürzen? Alle dem Vergessen anheimfallen lassen? Als Strafe und zur Sühne? Und dann ein weißes Blatt Papier aufgeschlagen, frei von Geschichte und Gedanken und ein neues Kapitel einer endlich besseren Welt geschrieben?

Was aber wäre die Welt ohne den Mut, sich seines Verstandes zu bedienen? Hat nicht allein diese Aufforderung mehr Gewicht als die wertende Klassifizierung der Menschheit nach Hautfarbe, die Kant auch vornahm, die indes in der Rezeption seines Werkes keine Rolle spielt (und tatsächlich weitgehend vergessen war)? Und was wäre Europa, hätte nicht der britische Kriegspremier 1940 unbeirrt der Nazityrannei die Stirn geboten? Wiegt das nicht mehr als sein, schon von Zeitgenossen als unsäglich empfundener, Rassismus?

Das ist die Crux. Menschen sind in ihrer Persönlichkeit viel komplexer als den Menschen lieb ist. Recht eigentlich will man ja den Ritter ohne Furcht und Tadel, den makellosen Menschen, der immer und ausnahmslos und unbedingt auf der Seite des Guten, Wahren und Schönen steht. Umso mehr, handelt es sich um Menschen, die eine wie auch immer wichtige und gewichtige Rolle in der Geschichte der Menschheit spielen, einerlei ob politisch, künstlerisch oder wissenschaftlich. Eine Zumutung.

Und wer sind die hier? © Rishi / unsplash.com

Und wer sind die hier?
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Gerade darin liegt ein potentiell tieferer Wert vieler Denkmäler, so sie nicht allein der schlichten Andacht dienen. Sie können in ihrer Umgebung, mithin im Kontext gelesen werden und zum Denken anregen. Insofern, als sie als Intervention im öffentlichen Raum wahrgenommen, sie als Möglichkeit zur Auseinandersetzung genutzt werden. Das gibt es bereits, das ist nichts Neues. Jetzt ist der Moment, einen Schritt weiter zu gehen. Nach dem Sturz ist vor der Auseinandersetzung – aber bitte nicht in Form schlichter Informationstafeln. Es darf mehr sein. (fksk)

Franziskus von Kerssenbrock

* 1966 Author, Journalist, Communications Expert Have written for various German and Austrian media (as DIE ZEIT, profil, DER STANDARD, HI!TECH, MERIAN, e.a.) Editor-in-chief at UNIVERSUM MAGAZIN Media Relations for Wirtschaftskammer Wien Head of Corporate Communications Oesterreichische Akademie der Wissenschaften Married, one son