Nun also die Niederlande. Ein politischer Erdrutsch und Mijnheer Wilders steht vor dem Einzug ins Catshuis in Den Haag. Frohlocken Rechtsaußen. Und Appetit auf mehr, auf Thüringen, auf Sachsen, auf Österreich, Frankreich und bald ganz Deutschland. Katzenjammer und Verzagen derweilen unter Sozialdemokraten, Christdemokraten, Grünen und Liberalen, also in der Mitte, die schmächtiger und schmächtiger wird und mit den Wählern hadert, die den Rattenfängern der radikalen Ränder folgen.
Vor allem aber Unverständnis. Wie, bei allem Änderungsdruck, bei allen Sorgen, die manifest und nicht nur gefühlt sind, ausgerechnet jenen Stimmen zufliegen, die alles, was doch erreicht wurde, in Frage stellen. Die zurück wollen in die Fünfzigerjahre oder die Dreißiger, die von Festungen reden und von einer heilen, homogenen Welt, ohne diese Ziele denn je erreichen zu könne. Davon könnte Frau Meloni in Rom durchaus ein Lied singen. Das könnten auch die Freiheitlichen in Österreich, die bislang bei jeder ihrer Regierungsbeteiligungen seit 2000 krachend gescheitert sind. Die dennoch an das Tor des Palais am Ballhausplatz klopfen, die feixend den kommenden Volkskanzler aus ihren Reihen proklamieren.
Und wirft man einen Blick in die Kommentarspalten, hört man Stimmen aus der Politik, dann scheint es, als hätte man sich damit denn auch schon abgefunden. So schlimm, ist da zu hören, würde es wohl nicht werden. Es bräuchten die Rechtsrechten doch einen Koalitionspartner, der sie zügeln würde und zähmen. Andernorts spricht man ihnen bereits nach dem Mund, da waldhäuselt die Landeshauptfrau von Niederösterreich ungeniert, während ihr Salzburger Pendant sich lieber in hochnotpeinliches Schweigen hüllt und der Amtskollege aus Oberösterreich seinen freiheitlichen Partner lobt, derweilen der Medien, Kunst und Kultur ausrichtet, dass sich bald schon der Wind drehen werde im Land. Und dass es dann ungemütlich werde.
Das ist deutlich.
Die Mitte der demokratischen Gesellschaft, mithin die große Mehrheit der Menschen dieser Republik und auch der Union, hofft unterdessen. Hofft, dass es sich bei den nächsten Wahlen doch noch einmal ausgehen werde, dass sich Mehrheiten welcher Art auch immer finden werden lassen, die eines nur zusammenführt, eben die Rechtsrechten zu verhindern.
Dieses Wechselspiel aus Hoffen und Bangen geht in Österreich so lange schon wie in keinem anderen europäischen Land. Seit 1986 treibt die extreme Rechte die demokratische Mitte vor sich her, legt Axt an die Institutionen der Republik, höhnt, schmäht und untergräbt die Fundamente der offenen Gesellschaft. Und die Mitte weiß nicht darauf zu reagieren.
Sie ist gefangen im ewigen Zustand des Verteidigens.
Bisweilen hat es den Anschein, sie habe es sich darin wohnlich eingerichtet.
Dabei ließe sich von den Rändern durchaus lernen. Letztlich wollen die Menschen etwas gewinnen. Zukunftsperspektiven zum Beispiel. Die Gewissheit, dass es jemand ernst mit ihnen meint und sich nicht in Floskeln verliert. Klarheit über das, was kommt, was damit verbunden ist, und wie sich das Ergebnis gestalten lässt. Im Grunde wollen die Menschen doch gestalten, mitgestalten, am Gestalten teilhaben können.
Etwas, was die demokratische Mitte, die so sehr damit beschäftigt ist, gegen den rechtsrechten Rand anzustehen, ihnen nicht bietet. Oder, wenn sie es bietet, es nicht offen ausspricht, keine Akzente setzt.
Darum aber geht es. Es geht um Programme, um Ideen und Positionen und es geht darum, sie akzentuiert, pointiert und dann und wann auch lautstark zu vertreten. Es geht darum, den öffentlichen Raum der gesellschaftlichen und politischen Debatte zu besetzen und den radikalen Recken streitig zu machen.
Nicht, indem man immer nur auf ihre Themen eingeht. Sondern indem man die essenziellen Themen selber setzt.
Deren gibt es genug. So, wie es genügend Wissen, Expertise, Modelle und Möglichkeiten gibt, selbst große und größte Herausforderungen anzugehen. Das stimmt für den Klimawandel, für künstliche Intelligenz und Digitalisierung, das gilt für Migration, Integration und Arbeitswelten ebenso wie für Sicherheit und Zusammenarbeit. In allen diesen Bereichen und in noch viel mehr lassen sich Wissen, Erfahrung, Technik, Technologie, Verhaltensökonomie und was der Instrumentarien unserer an Instrumenten reichen Gesellschaft und Zeit noch mehr sind, aktiv einsetzen. Als Gelegenheit, etwas zu tun. Subjekt zu sein, nicht nur Objekt.
Demokratie ist das Versprechen, mitgestalten zu können, ist die Garantie, Entwicklungen und Entscheidungen nicht passiv über sich ergehen lassen zu müssen, als vielmehr daran teilzuhaben. Dieses Wissen, die Sprache dazu und auch das Instrumentarium muss die demokratische Mitte den Menschen anbieten. Gepaart mit Leidenschaft, mit klaren Worten, verständlichen Botschaften. Nicht schönfärberisch, aber begründet zuversichtlich.
Es muss die Mitte ihre Ecken und Kanten finden, ihre unterschiedlichen Facetten, sie muss erkennbar und unterscheidbar werden, damit sie wahr- und ernstgenommen wird. Als Bündelung jener gesellschaftlichen und politischen Kräfte, die zukunftszugewandt sind, die mit- und untereinander um die Gestaltung debattieren, die nicht in der Vergangenheit oder deren Versatzstücken, nicht in Nostalgie und Rückwärtsgewandtheit Sicherheit wähnt.
Eindämmen lassen sich Wilders, Le Pen und Konsorten längst nicht mehr. Es geht darum, ihnen mit aller Kraft den Boden zu entziehen. Mit mutiger, konfliktfreudiger, akzentuierter Politik, mit Zukunftskonzepten und – klaren Worten. Aus der Mitte der Gesellschaft. (fksk, 3.12.23)