Islam

Woche 50 – Religion und Rosinenpicken

Es wurde gebetet im Nationalrat. Auf Einladung des Nationalratspräsidenten, strikt überkonfessionell aber mit maximaler Öffentlichkeitswirkung. Denn es war ein ostentatives Beten, welches geradezu nach ebenso lauter Kritik verlangte. Die ließ nicht lange auf sich warten.

© Valdimir Soares / unsplash.com

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Weder sei der Nationalrat der rechte Ort für eine religiöse Zusammenkunft, schon gar nicht, wenn dafür vielleicht gar öffentliche Gelder aufgewendet wurden (was noch der Klärung bedarf), vor allem aber, und das wiegt schwer, sei es ein politisches Statement, welches da auf religiös strikt neutralem Boden getätigt worden ist. Es rieche streng nach politischem Katholizismus oder wenigstens nach politischem Christentum und erinnere mithin an die unseligen Zeiten, als die katholische Kirche in Österreich ein maßgeblicher politischer Akteur war. Ignaz Seipel, der Prälat ohne Gnade, Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg lassen grüßen.

Das wiegt wirklich schwer.

Ganz so wie der Hinweis darauf, dass Religion und Politik in der Republik nun einmal seit 1945 aus gutem Grund getrennte Wege gehen.

Hätte der Hinweis darauf nur nicht einen kleinen Haken. Denn gerade der ÖVP, die sich als christlich-soziale Partei definiert, wird ein ums andere Mal empfohlen, sich dieser ihrer Wurzeln zu besinnen, geht es um den Umgang mit den Schwachen der Gesellschaft, mit Flüchtlingen und Migranten. Da steht der christliche Gedanke der Caritas hoch im Kurs. Weil er wahrhaft, gut und edel ist.

Allein, das ist Rosinenpicken. Wer christliche oder konkreter, katholische, Grundsätze einfordert, muss alles, was damit einhergeht, billigend in Kauf nehmen. Die katholische Kirche lässt sich nicht allein auf die Caritas reduzieren, auf Persönlichkeiten wie Kardinal König, Monsignore Bauer oder Prälat Unger. Sie ist ebenso Heimstatt von Kardinal Groer, Bischof Krenn und des Opus Dei. Sie ist nicht nur mild- und wohltätig, sie ist auch eisern in ihren Grundsätzen. Sie vertritt mal stoisch dann wieder kämpferisch Positionen wider die Abtreibung, gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, sie ist durch und durch konservativ, obrigkeitsgläubig und dogmatisch.

Dass sie sich seit mehr als 70 Jahren weitgehend aus dem politischen Geschehen heraushält, ist, historisch betrachtet, eine Anomalie.

Zeit ihrer Existenz war die Kirche eine politische Kraft. Über weite Strecken dominant, mal offensiv, dann wieder etwas verhaltener. Aber es ist die europäische Geistesgeschichte so wenig ohne sie und die Konflikte mit ihr zu denken und zu verstehen wie die politische und gesellschaftliche Geschichte des Kontinents.

Dass ihre Oberhoheit zurückgedrängt werden konnte, das ist allein Verdienst der Aufklärung, die gegen den massiven Widerstand der Kirche vonstatten ging. Und – der Brüche des 20. Jahrhunderts.

Dennoch, so säkular Europas Westen sich heute gibt, die Kirche ist ein eminent politischer Faktor geblieben. Sei es im Ringen um die Legalisierung der Abtreibung, um das Eherecht oder um soziale Fragen. Auf Positionen, auch auf prononcierte Positionen, hat sie bei aller Zurückhaltung nie verzichtet. Sie ist, und das kann durchaus als Wert betrachtet und geschätzt werden, ein Stachel im Fleisch der Gesellschaft, insofern als sie ihre Agenda, ihre Werte nicht so schnell aufgibt.

Das kann in einer demokratischen Debattenkultur durchaus als bereichernde Zumutung wahrgenommen werden.

So lange die Kirche nicht als tagespolitischer Akteur auftritt.

Werden sie und Teile ihrer Lehre freilich politisch aufgerufen, dann darf man sich nicht wundern, wenn auch andere Teile ihrer Lehre im politischen Gewand wiederkehren. Erst einmal nur als Gebetskreis im Nationalrat. Und in einem nächsten Schritt weit darüber hinaus.

Die Distanz hat bisher allen gut getan. Es wäre klug, sie unter allen Umständen beizubehalten – auch, um anderen Religionsgemeinschaften, zumal der islamischen, unmissverständlich zu signalisieren, dass Staat und Glaube voneinander getrennt sind. Strikt getrennt. (fksk/14.12.20)