Eine Auszeichnung für Sucharit Bhakdi. Es mag zwar das „Goldene Brett vorm Kopf“ sein und mithin ein Schmähpreis für den größten unwissenschaftlichen Unsinn des Jahres, aber – es ist ein Preis. Es ist Aufmerksamkeit, Beachtung, Reichweite und Scheinwerferlicht.
Man kann davon ausgehen, dass der Preisträger sich bestätigt und anerkannt fühlt. In der dieser Tage durchaus begehrten Position als Ausgegrenzter (wiewohl gefragter Dauergast in TV-Diskussionen), als jemand, der die Wahrheit kennt. Vor allem darf er sich freuen, als die Meldung in den Medien (auch in diesem) ihm einen weiteren Schub an Bekanntheit verschafft. Mithin auch seinen Thesen.
So können beide Seiten sich denn zufrieden zeigen. Die Jury hat Flagge gezeigt. Er hat Öffentlichkeit. Wobei letzteres möglicherweise nicht die Intention der Preisverleiher war. Was denn auch eine Schwachstelle dieser Auszeichnung ist.
Sie markiert, ist ein Hinweis, ein Etikett. In gewisser Weise sorgt sie gerade für jene Beachtung, die sie im Grunde kritisiert.
Freilich, die Intention, unwissenschaftlichen Unsinn als solchen zu benennen, ist prinzipiell jede Unterstützung wert. Bisweilen indes erscheint das schlichte Ignorieren die bessere Wahl zu sein.
Wenigstens will Tom Buchanan, Professor für Psychologie an der University of Westminster, diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen wissen. In seinem aktuellen Beitrag „How to reduce the spread of fake news – by doing nothing“ auf der Website „The Conversation“ fokussiert er in erster Linie auf den Bereich der Social Media, die wie kein anderes Trägermedium für die Verbreitung kühner Thesen wie auch abstruser Verschwörungsmythen und blanker Lügen geeignet sind. Ein Ausschuss des britischen Parlaments stellte 2017 fest, dass online verbreitete Desinformation „das Grundgerüst unserer Demokratie“ gefährde.
Zum Besseren hat sich seither nichts gewandelt. Und partout der Widerspruch, das sich Einlassen auf wilde Argumentationen, trägt zu ihrer immer schnelleren Verbreitung bei. Jeder Klick, jede Interaktion erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der kritisierte Post, das hanebüchene Gedankenkonstrukt durch den Algorithmus höher gereiht und noch mehr Menschen gezeigt wird. Das Bemühen, Gerüchten und haltlosen Mutmaßungen den Boden zu entziehen, schlägt in sein Gegenteil um und öffnet Zugang zu noch mehr Publikum.
„Das“, so Buchanan, „ist wichtig: Je mehr Menschen den Post sehen oder je öfter sie ihn wahrnehmen, desto stärker ist seine Wirkung.“ In einer Studie, die Buchanan im Oktober 2020 auf PLOS ONE veröffentlichte, untersuchte er den Umgang von 2.634 Teilnehmern mit online verbreiteter Falschinformation. Das Gros der Ergebnisse, hält er fest, sei weiter nicht überraschend gewesen. Bis auf zwei: „Einige teilten absichtlich politische Informationen, von denen sie wussten, dass sie unwahr waren. Dafür kann es mehrere Gründe geben (etwa, der Versuch, die zu entlarven). Der zweite Aspekt, der auffiel, war, dass die Bereitschaft Material zu teilen höher war, wenn die Menschen dachten, sie hätten es schon einmal gesehen“.
Ein US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2018 stützt diese Beobachtung. Stoßen User wiederholt auf Social Media auf Unwahrheiten, bewerten sie sie als glaubwürdig und akkurat. Und dies sogar, wenn Tweets und Inhalte – wie im Fall des abgewählten Donald Trump – von den Betreibern der Plattform explizit als unwahr gekennzeichnet werden.
Die Wiederholung macht die Wahrheit. Nicht die Fakten.
Ein Teufelskreis also, der sich immer schneller dreht und für den noch kein adäquater Umgang gefunden worden ist. Es sei denn, man beherrscht sich und lässt bewusst manche Thesen, Provokationen, Rüpeleien und Unterstellungen schlicht ins Leere laufen. Indem man sich der Interaktion, dem Klick, dem Kommentieren verweigert. Nicht immer und auf jeden Fall. Aber doch öfter und bewusster.
So gesehen ist die Wahl für das heurige „Goldene Brett vorm Kopf“ ein Fehlgriff. Dieser der Auszeichnung im Grunde so würdige Preisträger braucht keinesfalls noch mehr Aufmerksamkeit. (fksk/22.12.20)