Was alles kein Skandal ist. In Österreich also so ziemlich alles. Zumindest das, was in Chat-Gruppen rund um den Kanzler und seine Kumpane vermeintlich vertraulich ausbaldowert wird. Mithin, wer welchen Posten wann und wie erhält. Wer Freund, wer Feind, wer steuerbar ist, welche Medien gut und welche böse. Wer wen liebt und deswegen eh alles bekommt.
Dazu das gewohnte Bild. Es sitzt der Finanzminister und Kanzlervertraute zum wiederholten Male vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss und kann sich nicht erinnern oder entschlägt sich der Antworten und lässt die oppositionelle Erregung schlicht abperlen. Als wäre nichts bekannt geworden, als müsste man sich der ungenierten Packelei nicht eigentlich in Grund und Boden schämen.
Das nun ist tatsächlich der Skandal, dass so viele Menschen in dieser Republik daran nichts Verwerfliches, nichts Skandalöses, nichts Abstoßendes, nichts Halbseidenes erkennen wollen. Weil sie es nicht erkennen.
Weil es immer schon so war. Sagen sie.
Womit sie – leider – recht haben.
Korruption und Postenschacher, Freunderlwirtschaft und Protektion, das sind keine österreichischen Erfindungen. Aber in keinem westeuropäischen Land, und noch gilt die Republik als dem Westen zugehörig, ist die Nonchalance stärker ausgeprägt, ist die Bereitschaft, Korruption als gleichsam naturgegeben zu akzeptieren und bei Gelegenheit schnell einmal zum eigenen Vorteil zu nutzen, so tief verwurzelt wie in Österreich.
Sie ist ein wesentlicher Bestandteil österreichischer Leitkultur. Seit Habsburgs Zeiten.
Man hat sich mit und in ihr behaglich eingerichtet. Hier ein kleiner Gefallen, dort ein wenig wegschauen. Das Wissen, wem man womit und wann am besten kommen kann. Die kleine Gefälligkeit eben, die ihrerseits eine weitere erfordert oder wenigstens vorbereitet. Wollte man freundlich sein, bezeichnete man das alles also als ein wenig schlampert. Österreichisch eben. Man nimmt es halt nicht so genau, um umso genauer auf den eigenen Vorteil achten zu können.
Es sagte der Kanzler, der einen neuen Stil verkündete, er habe das System nicht erfunden. Er kenne aber auch kein anderes. Weswegen er das System einfach fortsetze und forciere. Das sagt er dann nicht. Wohlweislich. Aber es konnte ihn jeder verstehen.
Und damit wäre denn auch alles wie es immer ist in Österreich. Wäre, wäre da nicht die Tonalität der Dialoge, wäre da nicht die Unverfrorenheit, die aus jeder Nachricht spricht, die unverholene Geringschätzung allen Normen gegenüber. Wäre da nicht der Umstand, dass eine Truppe, die nach einem Jahr Pandemie und Rezession das Krisenmanagement nicht und nicht beherrscht, meint, mit allem Recht die Republik nach ihrem Gutdünken gestalten zu dürfen. Und wäre da nicht der Umstand, dass diese Truppe und ihre Adoranten Kritik und kritische Betrachtung geradezu hysterisch als Majestätsbeleidigung, als Schmutzkübelei und Nestbeschmutzung werten.
Es mag das Zuschanzen und interne Abtauschen samt und sonders noch irgendwie im Rahmen der Gesetze abgehen, es mag strafrechtlich nichts davon relevant sein und nie und nimmer für eine Anklage vor Gericht genügen, es ist gerade des Tonfalls der Selbstgefälligkeit und Selbstverliebtheit wegen vielleicht doch ein Wendepunkt.
Von nun an lässt sich der neue Stil des Kanzlers und seiner Freunde in seine Worte kleiden, in ein „Kriegst eh alles“ und ein „Ich liebe meinen Kanzler“. Das bleibt ihm, so wie seinem einstigen Vizekanzler der verbale Machtrausch auf Ibiza auf ewig anhaftet. Es bleibt ihm und seinen Freunden, bis der allgemeine Überdruß daran Konsequenzen nach sich zieht. Die Konsequenz, einen Skandal als Skandal auch zu erkennen, zu benennen – und zu sanktionieren.
Damit endlich wieder Ruhe, die noch mächtigere Konstante österreichischer Leitkultur, einkehrt. (fksk, 8.4.21)