Migration

Afrikanische Perspektiven

Es ist, aus europäischer Warte, eine klare Sache und Afrika ein taumelnder, ein stürzender, ein brandgefährlicher Kontinent. Tummelplatz maßloser Diktatoren, Schauplatz unzähliger archaischer und blutiger Konflikte, Ursprung einer alle Dimensionen sprengenden Migrationsbewegung. Vielleicht sogar, für manche sicher, das Ende Europas.

Es gibt, so viel Ausgewogenheit muss sein, auch noch eine zweite Variante europäischer Sichtweise auf Afrika. In dieser ist der Kontinent Heimstatt einer einzigartigen Flora und Fauna, die die Afrikaner nicht in der Lage sind zu bewahren, weswegen es europäischer Unterweisung bedarf.

Und, es wird die Klage laut, die Afrikaner verkauften sich, ach was verkaufen, sie würfen sich China bedenkenlos an die Brust, nähmen sehenden Auges (und gegen viel Bares) eine zweite Kolonisation in Kauf. Diesmal eben durch Fernost. Das schmerzt die Europäer, denn sie meinen es nur gut mit Afrika, dem verlorenen Kontinent. Wenn doch nur die Afrikaner endlich die guten Intentionen Europas verstünden.

Wenn doch nur die Afrikaner endlich die guten Intentionen Europas verstünden.  © Trevor Cole / Unsplash.com

Wenn doch nur die Afrikaner endlich die guten Intentionen Europas verstünden.
© Trevor Cole / Unsplash.com

Es ist das Verhältnis zwischen Europa und Afrika tatsächlich schwierig. Nicht nur der Vergangenheit wegen. Es ist schwierig, eben aus dem Grund, dass sich die Sicht des Nordens auf den Süden nur wenig geändert hat im Laufe der Jahrzehnte. Diese Perspektive besagt, dass den Afrikanern geholfen werden muss. In der wirtschaftlichen Entwicklung, im Aufbau von Strukturen und Infrastrukturen, in letztlich allen Belangen von Bedeutung. Diese Perspektive fokussiert beharrlich auf das Bild eines ruralen Afrika, auf staubige Hütten am Rande noch staubigerer Straßen, auf große, leidende Kinderaugen, auf Armut und Zukunftslosigkeit. Hier gilt es Brunnen zu bohren, Ziegen zu verschenken, kleine Werkstätten zu etablieren und zu unterrichten.

Ausgespart bleibt das Leben in Luanda, der angolanischen Hauptstadt, einer der teuersten Metropolen der Welt. Modern, pulsierend, im Aufbruch. Ausgespart bleiben Städte wie Nairobi (es sei denn, es geht um die Slums) oder Maputo, ausgespart bleiben Johannesburg (es sei denn, man braucht ein Beispiel zur Illustration von Kriminalität) und Durban.

Kommen in Europas Sicht nicht vor, die afrikanischen Metropolen. © Marlin Jackson / Unsplash.com

Kommen in Europas Sicht nicht vor, die afrikanischen Metropolen. © Marlin Jackson / Unsplash.com

Ausgespart bleiben die Errungenschaften vieler afrikanischen Gesellschaften und Staaten seit 1989. Denn, auch das wird von Europa aus kaum und nur sehr am Rande wahrgenommen, mit dem Ende des Kalten Krieges gehen die Stellvertreterkriege der Blöcke in Afrika zu Ende. Während in Europa Vaclav Havel als Symbol eines neues Zeitalters gefeiert wird und Bill Clinton dazu auf dem Saxophon die amerikanische Begleitmusik gibt, fallen in Afrika die Diktatoren. In Malawi wie in Sambia etablieren sich demokratische Regime, der Bürgerkrieg in Mosambik endet in einem vorerst fragilen Frieden so wie jener in Angola. In Tansania und in Kenia entwickeln sich demokratische Oppositionskräfte, Wahlen werden zu Wahlen. Machtwechsel demokratischer Natur finden statt.

Europa blickt unterdessen begeistert auf Südafrika und Nelson Mandela. Und entgeistert auf den Genozid in Ruanda. Später dann auf Simbabwe und seinen altersstarren Präsidenten Mugabe. Da werden dann doch wieder Stimmen laut in Europa, die fragen, ob der Kolonialismus denn in der Tat so schlecht gewesen wäre.

Mehr ist nicht. Wenigstens nicht viel mehr.

Entwicklungen, die Europa zu verschlafen droht. © Benny Jackson / Unsplash.com

Entwicklungen, die Europa zu verschlafen droht. © Benny Jackson / Unsplash.com

Dieser Tage hat der US-amerikanische Think Tank Brookings Institution ein paar Zahlen, Daten und Fakten zu Afrika zusammengefasst. Sie skizzieren eine Entwicklung in Afrika, die Europa schlichtweg zu verschlafen droht.

Seit 2015, so die Autoren des Beitrags, Landry Signé und Ameenah Gurib-Fakim, zählte Afrika mehr als 27 Machtwechsel durch demokratische Wahlen, Staaten wie Mauritius, Botswana, Kap Verde, Namibia und Ghana gelten als politisch stabile, demokratische Länder, andere wie Südafrika, Sambia, Malawi und Äthiopien als aufstrebende Demokratien.

Seit dem Jahr 2000 ist in 34 Staaten, in denen 72 Prozent aller Afrikaner leben, die verantwortungsbewusste Regierungsführung (Good Governance) substantiell gesteigert worden. Binnen der letzten zehn Jahre wurden Bereiche wie gesellschaftliche und politische Teilhabe sowie Rechtsstaatlichkeit deutlich verbessert, im Laufe der letzten fünf Jahre zudem Bereiche wie Transparenz und Verantwortlichkeit.

Es verändert sich etwas, und es verändert sich rasch. © Alex Paganelli / Unsplash.com

Es verändert sich etwas, und es verändert sich rasch. © Alex Paganelli / Unsplash.com

 Nein, damit ist bei weitem nicht alles gut. Der Bürgerkrieg im Kongo, die immer noch angespannte, um nicht zu sagen enttäuschende Situation in Simbabwe, die nach wie vor grassierende Korruption in vielen Ländern, die drohende Ausrottung von Nashörnern, Elefanten und Löwen durch organisierte Wilderei, das alles ist real und gegeben. Aber: Diese Themen treiben die afrikanischen Gesellschaften um. Tragen dazu bei, dass sich zivilgesellschaftlich Initiativen bilden, oftmals getragen von Frauen, die nach Verantwortung streben und sie wahrnehmen.

Und Verantwortung nehmen die afrikanischen Staaten tatsächlich wahr. Nirgendwo zählt man mehr Flüchtlinge als in Afrika, und doch streben sie nicht einfach alle nach Europa. Allein Uganda, Äthiopien und Kenia beherbergen rund 2,8 Millionen Flüchtlinge und versorgen sie, allen Mängeln zum Trotz.

In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass, trotzdem 2017 in Summe 18 Konflikte in und zwischen afrikanischen Ländern gezählt wurden, selbiges Jahr jenes mit den neuntwenigsten Opfern seit 1950 war.

Noch ein paar Fakten: Seit 1995 ist die chronische Mangelernährung von Kindern unter fünf Jahren um zehn Prozentpunkte zurückgegangen, hat der allgemeine Gesundheitszustand von Kindern zugenommen, steigen – trotz HIV und Malaria – dank verbesserter Behandlungen Lebenserwartung und die Aussicht auf ein qualitätsvolles Leben.

Es gibt sie, die guten Nachrichten aus Afrika. Man muss sie nur hören. © Paul Zoetmeijer / Unsplash.com

Es gibt sie, die guten Nachrichten aus Afrika. Man muss sie nur hören. © Paul Zoetmeijer / Unsplash.com

Parallel dazu steigt die Zahl jener Kinder, denen ein Schulbesuch möglich ist. Von 60 Millionen im Jahr 2000 auf 150 Millionen 2017. Die Alphabetisierungsrate unter Erwachsenen ist seit 1995 um zehn Prozentpunkte angestiegen, vor allem und in erster Linie unter Frauen.

Apropos, in elf afrikanischen Staaten halten Frauen mindestens ein Drittel aller Parlamentssitze – mehr als in Europa oder in den USA.

Das ist, zugegebenermaßen, eine Momentaufnahme. Freilich eine, die einen anderen Blickwinkel wenigstens ermöglichen sollte. Auf Afrika, als einen Kontinent der Hoffnung, der Möglichkeiten.

Konzentriert sich Europa weiterhin auf die „Bad News“ und auf das Szenario einer ungebremsten Migration zu seinen Lasten, verliert es notwendigerweise Zugang zu Afrika und die Potentiale einer zukunftszugewandten Partnerschaft. (FKSK)