Was haben eine Wurstfabrik und eine Universität gemein? Auf den ersten Blick nichts. Falsch, meint Berthold Wigger, Finanzwissenschaftler am Karlsruher Institut für Technologie. Sie werden beide nach denselben wirtschaftlichen Grundsätzen geführt. Mit dem Ziel einer möglichst hohen Produktion und Produktivität.
In seinem Artikel „Wissensfabriken sind keine Wurstfabriken“ in der FAZ vom 22. Juli formuliert Wigger unter anderem: „Die Idee der unternehmerischen Universität orientiert sich an Organisationsformen aus dem produzierenden Gewerbe. Sie geht davon aus, dass sich eine Universität ähnlich wie ein Automobilunternehmen oder eine Lebensmittelfabrik organisieren lässt. Hätte es bei der Suche nach Vorbildern nicht näher gelegen, sich an Anbietern aus dem privatwirtschaftlichen Bildungs- und Wissenssektors zu orientieren? Vielleicht wäre dann aufgefallen, dass Ingenieurbüros, Ärztegemeinschaften oder Anwaltskanzleien eher dezentrale Organisationsformen aufweisen, dass sie von ,Peers‘ geführt werden, also von Experten auf dem jeweiligen Gebiet, und dass die Aussicht, zu dieser Gruppe zu gehören, einen starken Anreiz bietet, Expertenwissen zu erwerben. Vielleicht hätte man auch bemerkt, dass private Dienstleister im Bildungs- und Wissensbereich eher partnerschaftliche organisiert sind und nicht hierarchisch-zentral wie Produktionsunternehmen.“
Das ist dann ja tatsächlich einmal ein anderer Ansatz zu einem neuen Umgang mit den Universitäten. Eine Frage freilich beantwortet Wigger nicht. Die aber will ebenso dringend geklärt werden: Was ist denn eine Universität? Ganz grundsätzlich betrachtet. Was macht sie aus? Was ist ihr Wesenskern? Was darf von ihr erwartet werden, was muss ihr an Rahmenbedingungen garantiert werden?
Derzeit soll eine Uni alles sein: Ein Ort der Bildung und des Wissens für so viele Menschen als möglich – womit sie an Kapazitätsgrenzen stößt. Sie soll als Ort der Forschung für Innovationen innerhalb der Wirtschaft sorgen, sie soll Exzellenz bieten. Sie soll sozialen Aufstieg ermöglichen. Sie soll ein Motor gesellschaftlicher Diskussionen und Debatten sein. Sie soll reibungslos funktionieren. Sie soll Wissenschaft und Forschung einem breiten Publikum näher bringen. Im Idealfall soll sie sie dafür begeistern. Vor allem aber soll sie nichts kosten.
Das alles wird von einer Wurstfabrik, wird von einem Automobilproduzenten nicht verlangt. Auch nicht von Rechtsanwaltskanzleien oder Ärztegemeinschaften.
In Wien werden derzeit die Jubiläen dreier Universitäten gefeiert. 650 Jahre Uni Wien, 250 Jahre Veterinärmedizinische und 200 Jahre Technische Universität. Daran ist nichts falsch. Jubeljahre dürfen, ja müssen zelebriert werden. Auch um die vielfältigen Leistungen der Universitäten einem weiter gefassten Publikum zu vermitteln.
Nur sollten diese Feste auch zukunftsgewandt genutzt werden. Um eben die Frage nach der Rolle und Stellenwert der Universitäten heute und morgen zu beantworten.
Die Fragen des „Wer sind wir?“ und „Wohin gehen wir?“ sind alles andere als banal. Es sind Grundsatzfragen, die nach einer intensiven Debatte verlangen. Nach einer Auseinandersetzung, an deren Schluss ein frisches Modell der Universität stehen könnte. Als neuer Freiraum der Forschung, Wissenschaft und Lehre. Als Ort, der tieferes Denken zulässt, ja fordert und fördert. Als Institution, deren Aufgabe es durchaus ist, gegen den Strich zu bürsten. Als Hochschule, deren Zweck und Ziel sich nicht darin bemisst, innerhalb möglichst kurzer Zeit Absolventen zu „produzieren“, sondern Qualität vor Quantität zu setzen
Die Feierlichkeiten neigen sich ihrem Ende zu. Jetzt sollte, jetzt könnte, jetzt müsste der nächste Schritt gesetzt werden: Das Wesen der Universität zu definieren. Und davon ausgehend ihre Aufgaben für Wissenschaft, Forschung, Lehre und die Gesellschaft – und die Rahmenbedingungen, die sie dafür benötigt. Auf lange Sicht. (fvk)