Palmyra. Ein Nachruf

August/September 2015. Was bleibt, ist Erinnerung. Sind Fotos, Pläne, eine Ahnung. Was bleibt, ist Zerstörung. In Palmyra sprengen die Fundamentalisten des „Islamischen Staates“ den Baal-Tempel, den Baalschamin-Tempel, Grabtürme der Nekropole. Sie enthaupten Khaleed Asaad, den Chefarchäologen, schänden seinen Leichnam, stellen ihn zur Schau. Genüsslich verbreiten sie die Bilder ihres Treibens. Und wahrscheinlich verhökern sie was immer ihnen an antiken Schätzen in die Hände gelangt auf dem internationalen Schwarzmarkt. Was bleibt, ist das Grauen.

Palmyra im Morgenlicht. Foto: Adsy Bernart

Palmyra im Morgenlicht. Foto: Adsy Bernart

August 1993. Ein alter Mann kommt uns entgegen. Sein Esel ist beladen mit Granatäpfeln. Als wir auf gleicher Höhe sind, begrüßt er uns. Wir können kein Arabisch. Er kann kein Englisch. Einerlei. Die Grußformel ist uns bekannt. Wir grüßen zurück. Führen die rechte Hand an unsere linke Brust. Der Alte greift in seinen Korb, holt zwei Granatäpfel hervor, überreicht sie uns. Willkommen in Palmyra. 

Es ist ein Privileg, diese antike Metropole besucht zu haben. Früh am Morgen, noch ehe die Sonne alles in gleißendes Licht hüllt, wenn die Farben noch frisch sind, durch die Straßen der Stadt zu spazieren. Vorbei an Säulen und Kolonnaden, zu Tempeln und Theatern. Ungestört, zeitvergessen.

Palmyra war einst ein Drehkreuz des Handels und des Austauschs zwischen Ost und West. Zwischen der römischen Welt und jener der Parther. Eine stolze Stadt. Eine Meisterin der Schaukelpolitik. Einmal freundlich mit Rom, dann wieder mit den Parthern. Stets auf den eigenen Vorteil bedacht.

Bis Königin Zenobia, hofiert von Rom, ihre Chance auf noch mehr Macht und Einfluss wahrnehmen will und angreift. Von einem Reich träumt, das bis Ägypten reicht und darüber hinaus. Mit ihr als Herrscherin und Palmyra als dem Mittelpunkt des Reichs. Das kann und will Rom nicht dulden. Das Imperium macht kurzen Prozess und entsendet seine Truppen. Nichts kann Zenobia retten. Nicht die Lage in der Wüste, nicht ihre Kamelreiter, nicht ihre Bogenschützen.

Wandmalerei in einem der Grabtürme der Nekropole von Palmyra. Foto: Adsy Bernart

Wandmalerei in einem der Grabtürme der Nekropole von Palmyra. Foto: Adsy Bernart

Palmyra fällt. Zenobia wird gefangen und zur Legende. Allein, Palmyra ist nicht Karthago, wird nicht zerstört. Im Gegenteil. Es bleibt eine Metropole des Austauschs. Nicht nur des wirtschaftlichen. Hier treffen wie kaum sonst wo die Kulturen des Westens und des Osten aufeinander. Sie existieren nebeneinander. Miteinander. Sie schaffen Neues.

Es muss grandios gewesen sein, kam man aus der Wüste zu dieser Stadt. Erst das Grün der Oase, wogende Palmen. Dann die Mauern, die Tore und Türme der Stadt. Das pralle Leben in den Straßen. Das Rufen der Händler, das Stimmengewirr auf den Märkten. Die perfekte Antithese zur Wüste. Bis die Weihrauchstraße als Handelsroute an Bedeutung verliert.

Selbst im Niedergang bewahrt Palmyra seine Würde. Sein Glück mag sein, dass es zusehends abseits liegt. Von geringer Bedeutung für Christen und Muslime. Allenfalls Steinbruch für Festungswerke. Ansonsten vergessen.

Ein Glück für die Welt. Kaum wo ist eine antike Metropole so gut erhalten wie hier. Kaum wo ist so viel zu finden, zu sehen, zu erahnen und zu spüren. Menschheitserbe.

Tempelanlage in Palmyra. Foto: Adsy Bernart

Tempelanlage in Palmyra. Foto: Adsy Bernart

Es gehört zur Perfidie des Assad-Regimes ausgerechnet hier, in der Oase Tadmor, einen seiner schlimmsten Folterkerker einzurichten. Im Abseits gleichsam. Und doch im Angesicht der Kultur. Blanker Hohn.

Was Wunder, dass die religiösen Fanatiker nun doppelt Rache nehmen. Schon mit den Zerstörungen von Mossul und Nimrud im Irak war klar, welche Gefahr Palmyra droht. Eine Gefahr, die das Regime durchaus billigend in Kauf nimmt. Mit jeder Sprengung antiker Anlagen, mit jedem Mord an Archäologen durch die Schergen des „IS“ gewinnt Bashar al Assad ein klein wenig an internationaler Reputation zurück. Palmyra, ein Bauernopfer im syrischen Bürgerkrieg. Nicht das einzige. Von den Menschen ganz zu schweigen. (fvk)

Die Fotos des Wiener Fotografen Adsy Bernart wurden im August 1993 in Palmyra aufgenommen. Mehr zur Arbeit und Person Bernarts: www.adsyphoto.com

Franziskus von Kerssenbrock

* 1966 Author, Journalist, Communications Expert Have written for various German and Austrian media (as DIE ZEIT, profil, DER STANDARD, HI!TECH, MERIAN, e.a.) Editor-in-chief at UNIVERSUM MAGAZIN Media Relations for Wirtschaftskammer Wien Head of Corporate Communications Oesterreichische Akademie der Wissenschaften Married, one son