Er ist kein Julius Cäsar, der Herr Prigoschin. Der Feldherr setzte im Jahr 49 v. Chr. alles auf eine Karte, er wusste um die Unumkehrbarkeit seines Handelns, sowie er mit seinen Soldaten den Rubikon in Richtung Rom überschritten hatte. Von da an gab es nur noch Sieg oder Niederlage. Nichts dazwischen. Cäsar triumphierte.
Prigoschin lässt seinen Trupp – es waren gerade einmal 5.000 seiner Söldner – rund 250 Kilometer vor Moskau umkehren. Er überschreitet die finale Grenze, die, nach der es eben nur noch Sieg oder Niederlage gibt, nicht. Stattdessen begibt er sich ins Exil nach Belarus, lässt seine Männer sowie wohl auch den Krieg gegen die Ukraine fürs Erste hinter sich und lässt die Welt rätseln, was das war an diesem letzten Juniwochenende des Jahres 2023.
Es war wohl eine Ouvertüre, ein Vorspiel, eine Ahnung dessen, was in Russland noch alles möglich ist, wenn der Krieg gegen die Ukraine weiterhin erfolglos bleibt, die Unzufriedenheit wächst und Glücksritter ihre Zeit gekommen sehen.
Von einem Zerfall Russlands ist seit mehr als einem Jahr immer wieder die Rede. Davon, dass, wenn das Zentrum zu schwach wird, einzelne Regionen nach der Selbstständigkeit und Unabhängigkeit streben könnten. Oder dass untereinander verfeindete Fraktionen den Kampf gegeneinander aufnehmen und Russland in einen Bürgerkrieg versinkt (das ist denn hörbar auch Putins Angst).
Diesmal hat das Zentrum der Macht die Oberhand behalten. Wenn es denn, worüber man nur spekulieren kann, Prigoschins Erwartung war, dass sich sich Einheiten der regulären Armee und der Sicherheitskräfte seinem Marsch auf Moskau anschließen würden, dann wurde er bitter enttäuscht. Der Trupp kam beeindruckend schnell voran, um Moskau zu nehmen aber war er zu klein. Genau betrachtet geriet er mit jedem Kilometer, den er in Richtung der Hauptstadt zurücklegte, mehr und mehr zu einem Selbstmordkommando.
An der Konsequenz konnten weder Putin noch Prigoschin irgendwelches Interesse haben. Nicht an einem Gemetzel mitten im heiligen Russland der eine, nicht am Abschlachten der eigenen Männer der andere. Also wählten sie via Lukaschenko einen Ausweg. Fürs erste.
Es ist zu erwarten, dass Putin innerhalb Russlands Armee und Sicherheitskräfte nach Sympathisanten Prigoschins durchkämmen lassen und eine Säuberungswelle initiieren wird. Die Zentralmacht wird danach streben, die Söldnertrupps an die Kandare zu nehmen und totale Kontrolle auszuüben. Das trifft sich mit Putins großer Erzählung, wonach sich Russland in einem ewigen Krieg gegen die Außenwelt befindet. So weit, so erwartbar.
Welche Rolle Prigoschin in Zukunft spielen wird, ob er überhaupt eine spielen wird, bleibt abzuwarten. Fürs erste hat er seine Haut gerettet. Ungeachtet dessen aber bleiben die Ineffizienzen in der russischen Planung und Umsetzung des Kriegs gegen die Ukraine bestehen. Sei es, dass es an Ausbildung mangelt, an Ausrüstung, an Unterstützung oder an guter Behandlung. Im Verein mit ausbleibenden Erfolgen gegen die Ukraine sorgt das auch innerhalb der regulären Armee für ein wachsendes Maß an Unzufriedenheit.
Insofern hat Prigoschin den Rubikon doch auch überschritten, er hat demonstriert, dass es möglich ist, zu rebellieren, den Konflikt mit Putin zu suchen. Und das mit wenigstens teilweise offener Unterstützung der zivilen Bevölkerung in Rostow am Don. Putins Albtraum, Bürgerkrieg und Untergang, ist an diesem Juniwochenende realistischer geworden.
Darauf muss sich auch Europa einstellen. (fksk, 26.06.23)