Bauernproteste

Woche 02 – Geld. Oder gestalten.

Nun also ziehen sie über Deutschlands Straßen und in die Städte, Bauern, die demonstrieren, protestieren und – im Verein mit der in dieser Hinsicht stets verlässlichen Deutschen Bahn – den Verkehr der Republik stilllegen. Darüber mag man sich mokieren, diverse Aussagen und Symbole mag man rundheraus ablehnen, gleichwohl zahlt es sich aus, den frustrierten Landwirten zuzuhören. Denn, so ist zu vernehmen, es ist nicht die gestrichene und nun eilends wieder zugesagte Subvention des Diesels, es ist die Wut über Jahrzehnte agrarpolitischen Stillstands, die sie auf die Straßen treibt.

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Mit der ersten Sichtung von Milchseen und Butterbergen in den späten 70er und frühen 80er Jahren nahm ein Stillstand Form an, der seither mit allen nur erdenklichen Instrumentarien den Überschuss verwaltet. Mit Quotenregelungen, Subventionen, Preisstützungen, steuerlichen Pauschalierungen, günstigen Krediten und Sonderregelungen, die allesamt nur eines zum Ziel haben, den Änderungsdruck abzufedern um nichts grundsätzlich ändern zu müssen.

Ideen, Projekte, konkrete Politik, wie die Landwirtschaft – und mit ihr der ländliche Raum – attraktiv und zukunftsfähig werden können, welche Aufgaben und welchen Stellenwert sie innerhalb der Gesellschaft einnehmen, sucht man indes vergebens. In einer Welt, die sich dramatisch verändert hat (und kaum ein Bereich hat nach 1945 einen radikaleren Wandel durchlaufen als die Landwirtschaft), in einer Welt, die, getrieben durch Globalisierung, Klimawandel und Artensterben, an Veränderungstempo nochmals dramatisch zulegt, herrscht – teuer erkauft – Stillstand.

Damit steht die Landwirtschaft keineswegs alleine. Über Geld und Zuwendungen sucht die Politik allen möglichen Herausforderungen und Problemen beizukommen. Es mangelt im Bildungsbereich? Mehr Geld für die schulische Verwaltung. Es krankt der Gesundheitsbereich? Finanzspritzen sollen es richten. Es weitet sich die Einkommensschere und die Zahl der „Working Poor“ nimmt zu? Mehr Mittel für soziale Ausgleichszahlungen sollen die Unterschiede einebnen. An die Stelle politischer Auseinandersetzung ist die Auseinandersetzung um einen möglichst großen Anteil am Staatshaushalt getreten.

Das geht. Es geht eine Zeit lang, und es geht auch länger, wenn da oder dort nochmals zusätzliche Gelder aufgetan und großflächig verteilt werden. Bis es zur Gewohnheit wird, mit der man dann selbst existenziellen Krisen begegnet.

Die Finanzkrise von 2008 führte zu keiner grundlegenden Reform des Finanz- und Bankenwesens, sie führte aus der durchaus berechtigten Angst vor einer Rezession zu einer Politik des billigen Geldes, die durch die Pandemie der Jahre 2020/21 nochmals intensiviert wurde – allen Warnungen zum Trotz. Nun führt die Politik des billigen Geldes zu Inflation und steigenden Zinsen, denen Österreichs Politik todesmutig mit noch mehr Geld entgegenzuwirken versucht.

Der Griff ins Budget ist ein Armutszeugnis. Er steht für den Unwillen oder, schlimmer noch, für die Unfähigkeit, sich mit Themen eingehend und in der Tiefe zu befassen, auch unerfreuliche Entwicklungen anzugehen und sie solcherart zu gestalten, dass etwas Neues daraus hervorgeht. Der Griff ins Budget offenbart die Selbstaufgabe der Politik – wenn Politik als Gestaltungswille begriffen wird.

An die Stelle der öffentlichen Debatte, die auch schmerzhaft sein mag, die Kraft kostet und bisweilen an die Substanz geht, an die Stelle von Überzeugungskraft und redlicher Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Positionen, ist die irrige Meinung getreten, alles ließe sich durch immer mehr Geld behandeln. Auch Verwerfungen und Konflikte innerhalb einer Gesellschaft.

Ein Irrglaube.

Demokratie verlangt nach echter Auseinandersetzung. Sie verlangt nach Positionen und Positionierungen, nach Überzeugung und Programmatiken, nach validen Zukunftsentwürfen. Vor allem verlangt sie danach, die Menschen in ihren Lebensumständen ernst zu nehmen. Solcherart, dass sie aktiv an der Gestaltung ihrer Verhältnisse teilhaben, dass sie den Wandel prägen anstatt von ihm geprägt zu werden. Die Politik einer demokratischen Gesellschaft stellt nicht ruhig, sie lädt ein, unmittel- und mittelbar Beiträge zu leisten. Sie sucht nach Lösungen, die weit über eine Budgetperiode hinaus wirksam sind (und nutzt ihre finanziellen Mittel mit Bedacht). Vor allem aber begreift sie die Menschen als aktive Subjekte, als gleichwertiges politisches Gegenüber und Partner im Gestalten. Nicht als passive Objekte finanzieller Zuwendungen.

Die Politik – nicht nur in Österreich und Deutschland, vielmehr in weiten Teilen Europas – hat indes alles unternommen, ihren Menschen nichts aktiv zuzumuten. Stattdessen wurde, was immer als Problem erschien, mit immer größeren Geldscheinen nachgerade zugekleistert.

Nun aber lässt sich nicht alles auf Dauer kaschieren, nimmt vielmehr die Perspektivlosigkeit angesichts dieser Politik der Mutlosigkeit überhand. Bis sie in Wut umschlägt, in offenen Protest. Und partout jenen Krakeelern in die Hände spielt, die mit demokratischen Prozessen und Ordnungen so gar nichts, mit autoritärer Macht dafür umso mehr am Hut haben, und siegestrunken schon auf die kommenden Wahlen spitzen. Um dann einen der Ihren als Volkskanzler zu proklamieren.

Es ist nicht zu spät, gegenzusteuern. Nur verdammt hart. Aber allemal alle Anstrengung wert. (fksk, 14.01.2024)

Woche 01 – Wut und Politik

Auch so hat 2024 begonnen: Wütende Landwirte wollten jene Fähre stürmen, auf der der deutsche Wirtschaftsminister und Vizekanzler Habeck aus dem Urlaub in den Alltag zurückzukehren plante. Der Gründe für die bäuerliche Wut sind viele und wurzeln tief, die geplante Verteuerung des Diesel war der Anlass.

© Andrew Valdivia/unsplash.com

Demonstrationen, einen Empfang mit Trillerpfeifen und deftigen Parolen, das hat es gegeben, das gibt es und wird es geben. Das ist, was eine Demokratie aushalten muss. Wenn aber die Demonstranten versuchen, sich Zutritt zur Fähre zu verschaffen, wenn die Sicherheit und Unversehrtheit eines Menschen, in diesem Fall Herrn Habecks, nicht mehr gewährleistet werden kann, dann ist eine Grenze überschritten. Dann handelt es sich nicht mehr um Demonstranten, dann ist es ein Mob, von Wut gesteuert und außer Rand und Band. In Deutschland im Grunde genommen ein Fall von Landfriedensbruch. Die Ermittlungen laufen.

Damit aber ist das Problem nicht aus der Welt, der Umstand, dass immer wieder und immer öfter Proteste in Gewalt umschlagen, dass Galgen, Morddrohungen, Vernichtungsphantasien bei Aufmärschen schon zum gewohnten Bild werden, dass es vor den Häusern und Wohnungen von Politikern und anderen, in der Öffentlichkeit stehenden Menschen, Zusammenrottungen gibt.

Die Zeiten sind nicht einfach. Das waren sie nie, so komplex, wie sie sich derzeit gestalten, waren sie indes bisher selten. Entsprechend groß sind Unsicherheit und Verunsicherung. Weit verbreitet ist zudem der Eindruck, schlicht kein Gehör zu finden, zur Seite gedrängt zu werden, zu den Verlierern des Wandels zu zählen. Und das in einer Demokratie, die doch eigentlich Mitsprache garantiert, mithin die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen die Lebenswelt gestalten zu können.

Seit vor bald 14 Jahren Stéphane Hessels „Empört Euch“, ein schmales Pamphlet wider die herrschenden Zustände, die allen Idealen der französischen Résistance Hohn sprachen (und sprechen), erschienen ist, ist die Empörung als Haltung akzeptiertes Mittel der Politik. Während Hessel mit seiner Streitschrift noch das Ziel verfolgt, zu den als verloren wahrgenommenen Idealen zurückzukehren, ist die real gelebte Empörung alsbald ziellos geworden. In Erscheinung trat sie seither als Wutoma, als Wutbürger, als Wutwirt, als Wutwasweißichnochalles, die ihre Auftritte in Funk und Fernsehen hatten, die ihre ungefilterte Wut massenmedial zur besten Sendezeit zu Markte trugen.

Bisweilen sind Empörung und Wut ein notwendiges Ventil, sich Luft zu verschaffen. Im besten Fall werden sie zu Impulsen, tatsächlich gestaltend aktiv zu werden, sich politisch oder gesellschaftlich zu engagieren, seiner Stimme im demokratischen Rahmen Gehör zu verschaffen.

Die Empörung der letzten Jahre ist das Gegenteil. Sie ist blind vor Wut. Sie will zerschlagen, zertrümmern, sie will einen Rausch erleben, der andere zittern macht, der Macht verleiht. Wenigstens für den Moment.

Sie verliert sich zusehends in tiefinneren Überzeugungen, die in Verschwörungsmythen wurzeln oder in dem Gefühl, zu den Wenigen zu zählen, die die Wirklichkeit tatsächlich durchdringen und also sehend und wissend sind. Und – sie lässt sich instrumentalisieren. Von politischen Kräften, die darin eine Kraft erkennen, die sie ins Zentrum der Macht tragen kann.

Darauf baut der Erfolg der Freiheitlichen in Österreich auf, die sich an die Spitze der Coronawütenden gesetzt hat, jede noch so krude Theorie zu ihren Gunsten zu wenden weiß und offen, frank und frei verkündet, wer unter ihrer Regierung nichts mehr zu lachen hat. Darauf baut der Erfolg der AfD auf, jener von Frau Le Pen und der Schweizer Volkspartei. Daraus speist sich auch der Zuspruch zu Kommunisten auf regionaler Ebene in Österreich, zur extremen Linken in Frankreich und zur rinkslechts schillernden Frau Wagenknecht in Deutschland. Wut stärkt ausschließlich und nur die politisch radikalen Ränder. Das ist eine Konstante.

Wenn aber die Wut nur das Geschäft der Extreme befördert, ist die politische Mitte gefordert, Position zu beziehen. Darauf zu setzen, dass die Wut verrauchen würde, gibt man ihr nur die Möglichkeit, durch das Land zu ziehen und sich auf allen nur verfügbaren Plätzen zu manifestieren, greift zu kurz. Zu hoffen, sie irgendwie mit Zugeständnissen befrieden zu können, stachelt lediglich ihren Hunger nach mehr Zugeständnissen an und führt also in die Irre. Dann wird sie noch mehr zur treibenden Kraft, deren Sog immer weiter ausgreift.

Mit dieser Wut umzugehen ist kein Leichtes, genau deswegen sind Grenzen zu setzen. Grenzen, die neben der Gesetzeslage das in einer Demokratie produktive Ausmaß an Protesten definieren. Über die Konsens besteht und die verständlich und nachvollziehbar darlegen, wann sie überschritten sind, und ab welchem Zeitpunkt, ab welcher Eskalationsstufe man sich aus dem gesellschaftlichen Diskurs herausnimmt. Dazu zählt auch, dass das Verhalten der Seitenlinie kritisch betrachtet wird, die Wortwahl in Kommentaren großer Medien, die Kritik ad personam anstelle der Kritik in der Sache, der Hang zu Häme, zu Gering- und Lächerlich machen politischer Gegner gleich welcher Couleur, die permanente Zuspitzung der Pointe wegen. Das sind die Echoräume der Wut, die sie nicht allein spiegeln als vielmehr bestärken und verstärken, die sich mitreißen lassen, die im Sog des Geschehens ebendiesem zusätzlich Schwungkraft verleihen.

So wie einmal mehr die Politik gefordert ist. Sich zu erklären, direkt und ohne Social-Media-Filter, vor Ort und nicht allein im Hauptstadtstudio. Verantwortung zu übernehmen, zu leben und zu exekutieren. Und klar zu sein. In der Sache, in den Vorhaben, in den Perspektiven. Mit Schlingern ist der Wut nicht beizukommen. (fksk, 07.01.24)