„Freedom Day“, etwas Einfacheres, Plakativeres und Maulfauleres fällt der Politik und den ihr verbundenen Blättern nicht ein, geht es um den Zeitpunkt, zu dem die Masken fallen und mit ihnen alle Beschränkungen der letzten zwei Jahre. Weil es so schön ist, weil Großbritannien bereits seinen Freedom Day gefeiert hat (letztes Jahr schon), weil andere Länder ihn gleichfalls planen und herbeisehnen.
Freiheit! Tag der Freiheit. Und alles ist wieder gut.
Ist es nicht. Natürlich nicht. Nicht nach zwei Jahren, die die Gesellschaft im Wortsinne in ihrem Innersten verwundet haben. Vielmehr könnte man sagen, dass nach diesen zwei Jahren nichts mehr ist, wie es war. Wenngleich auch diese Aussage schal schmeckt und abgestanden, so oft wurde sie bereits getätigt.
Also, „Freedom Day“. Warum auch nicht? Klingt doch gut. Und lässt die Gesellschaft, Impfbefürworter wie -gegner einmal auf- und durchatmen. Man geht gemeinsam auf ein Bier oder ein Glas Wein, lässt alle Differenzen beiseite, vergisst auch, was in der Zwischenzeit noch so alles ans Tageslicht gekommen ist, freut sich des Lebens und dankt der Politik und ihren Repräsentanten, dass sie der Allgemeinheit diesen wunderbaren Tag gönnen.
Insofern ist die Verwendung dieses Begriffes, „Freedom Day“, geradezu verräterisch. Sie offenbart dem p.t. Publikum, was die verantwortlichen Politiker und -innen sich wünschen: Dass alles wieder gut ist. Vergeben, vergessen, verziehen.
Was ihnen verziehen, oder wenigstens nachgesehen, werden kann, ist, dass sie vor zwei Jahren mit einer Situation konfrontiert waren, wie sie sie noch nie erlebt hatten. Was das Lavieren, die Unsicherheit, den Alarmismus, die Übertreibungen und Zuspitzungen der ersten Zeit erklärt. Da wie dort. Und manch einer, der heute lauthals nach der Freiheit verlangt und die Gesellschaft wie auch die Republik schon in den Fängen einer finsteren Diktatur wähnt, manch einer dieser hatte zu Beginn noch viel härtere Maßnahmen eingefordert.
Sei´s drum. Es ändern sich die Umstände, mit ihnen ändern sich Zugänge und Sichtweisen. Daran wäre denn auch nichts auszusetzen. Wäre, hätten sich die Zugänge denn wirklich geändert. Exakt daran freilich kommen begründete Zweifel auf, lässt man die Performance der Regierung hierzulande, wie auch jene anderer Regierungen anderer Länder Revue passieren. Was im Großen und Ganzen geboten wurde, war ein Lavieren, ein Hoffen und Versprechen, es stünde der Durchbruch im Kampf gegen die Pandemie unmittelbar bevor und wenn nicht morgen, dann übermorgen...
Hier kommt nun die Sprache ins Spiel. Die Sprache, die – und jetzt geht es tatsächlich um die österreichische Regierung –, gegenüber dem Souverän, dem Volk, gepflogen wird.
In zwei Jahren hat es die Bundesregierung mitsamt ihrer drei Kanzler und zwei Gesundheitsminister nie geschafft, mit den Menschen in einen Dialog einzutreten. Vielmehr wurde verkündet, kundgetan, versprochen und gefordert, was jeweils politisch opportun erschien und erscheint, nicht unbedingt was gesundheits-, wirtschafts-, sozial- oder gesellschaftspolitisch vonnöten gewesen wäre. Anstatt zu diskutieren und durch die Debatte die Basis eines gemeinsamen Verständnisses aufzubauen, auf der wiederum Maßnahmen aufsetzen können, die von dem Gros der Bevölkerung mitgetragen werden, haben sich die maßgeblichen Politiker im Marketing versucht. Weil es einfacher ist. Weil man sich die Auseinandersetzung erspart, die intellektuelle Redlichkeit und Kapazitäten voraussetzt. Und weil es gefällige, eingängige Schlagzeilen im Boulevard produziert.
Zugegeben, das ist an und für sich nichts Neues. Die Unlust an der Diskussion, die Verarmung der Sprache im öffentlichen Diskurs hat sich lange schon etabliert. Sie ist keineswegs das herausragende und erstmals auftretende Merkmal dieser Regierung oder dieser Generation an Politikern. Es ist letztlich auch müßig, nach dem Zeitpunkt zu suchen, zu dem diese Entwicklung einsetzt. Diskussions- und debattenfreudig hat sich die österreichische Politik ohnedies noch nie gezeigt. Dass Diskussion aber durch den Austausch von Marketingworthülsen, twitterfähigen Kurzaussagen, durch den Rückzug auf Schlagworte und die permanente Produktion aufwändiger Nebelwände zur Ablenkung von essentiellen Themen fast zur Gänze ersetzt worden ist, hat gerade in den letzten zwanzig Jahren nochmals an Gewicht gewonnen.
Das gilt für die Gesellschaft wie für die Politik. Es ist der öffentliche Diskurs zu einem Gegenüberstellen von Dogmen verkommen. Argumente und Sichtweisen, die der eigenen nicht entsprechen, die sie, schlimmer noch, in Frage stellen, werden als grobe Beleidigung erfahren und rundheraus abgelehnt. Die Bereitschaft, sich mit dem Anderen auseinanderzusetzen, ist auf allen Seiten zurückgegangen. Hüben wie drüben, rechts wie links, oben wie unten.
Tatsächlich ist diese Republik – und dieser Befund gilt gleichermaßen für weite Teile der europäischen Öffentlichkeit – in einen Zustand der fortgeschrittenen Denkfaulheit abgerutscht, der beängstigende Ausmaße angenommen hat.
Wo es zu anstrengend ist, sich mit intellektuellen Zumutungen auseinanderzusetzen, dort greift man flugs zu gefälligen Worten und Begriffen, die allen Kanten ihre Schärfe nehmen, die sie ablutschen, geschmeidig und lieblich machen. Da wird aus einer Krise unversehens die Herausforderung, oder besser noch, die Chance, die es zu nutzen gilt. Es wird die Krise, es werden ihre Auswirkungen damit auch gleich gar nicht mehr zur Kenntnis genommen. Man will ja positiv gestimmt sein und der Zukunft zugewandt. Dann und wann, wenn die Situation danach verlangt, dann darf es auch einmal martialisch klingen, wenn die Politik vor die Medienöffentlichkeit tritt und verkündet, sie werden tun „whatever it takes“, um ein Ziel zu erreichen. Da klingt Tatkraft durch, ohne je spezifiziert werden zu müssen.
Der Austausch im Gespräch, in der Rede, in der Diskussion erfolgt nicht mit der Absicht, mehr zu erfahren, Perspektiven zu öffnen, den Horizont zu erweitern, das eigene Wissen auf den Prüfstand zu stellen und auch die eigene Argumentation, alles das erfolgt vielmehr unter dem Aspekt des unbedingten Rechthabens. Weil es so ist. Und basta.
Manchmal vielleicht auch aus einer Unsicherheit heraus, wenn die deutsche Langzeitkanzlerin bestimmte Politiken als „alternativlos“ darstellte, wohl um schmerzhafte Diskussionen gerade innerhalb ihrer eigenen Partei zu vermeiden – womit sie prompt zur Ausformung einer neuen, radikalen Partei beitrug, die die Alternative im Namen trägt.
Das aber ist die Crux mit der Sprachlosigkeit in der Demokratie. Wer die Auseinandersetzung meidet oder verweigert, trägt dazu bei, dass mehr und mehr Menschen sich ausgeschlossen, ungehört und missachtet fühlen. Menschen, die ihre Sprachlosigkeit dann in Wut umwandeln. Was einer Debatte erst recht nicht zuträglich ist.
Kündigt die Regierung nun einen „Freedom Day“ an, dann will sie einen Schlussstrich ziehen. Unter zwei Jahre weitgehenden Missmanagements einer Gesundheitskrise. Unter all den aufgestauten Ärger, unter die Wut, die sich ungehemmt Bahn bricht. Sie will den notwendigen Auseinandersetzungen aus dem Weg gehen. Diese längst überfälligen Debatten sieht sie nicht vor. Nicht mit der Gesellschaft, nicht mit den Medien und auch nicht mit dem Parlament. Sie verweigert sich der Aussprache und glaubt, mit Marketingsprech davon- und durchzukommen. Ja eh, und Afrika ist ein Land. (fksk, 20.02.2022)