Nelson Mandela

Woche 36 – Der Kärrner vom Kap

Als der neue Mann die Regierung und die Führung seiner Partei übernimmt, kommt in Teilen der Bevölkerung Hoffnung auf eine Wende zum Besseren auf. Mit ihm, der über fundierte Wirtschaftserfahrung verfügt, im Vergleich zu seinem Vorgänger als eloquent und weltoffen und als politische Zukunftshoffnung gilt, soll der lähmende Stillstand der letzten Jahre überwunden werden. Kaum im Amt aber lassen ihn die alten Seilschaften spüren, dass sie nicht gewillt sind, auch nur einen Fußbreit an Einfluss preiszugeben. Der Hoffnungsträger, auf Ausgleich bedacht, beginnt zu lavieren. Zu zaudern, zu zögern und zagen.

© swiss im / unsplash

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Nein, die Rede ist nicht von Christian Kerns kurzer Kanzlerschaft. Der Protagonist heißt Cyril Ramaphosa, Vorsitzender des African National Congress (ANC) und Präsident der Republik Südafrika.

Der Zauber des Neubeginns ist längst verflogen. Südafrika durchlebt nicht nur die schwerste Wirtschaftskrise seiner Geschichte, es ist zudem eines der weltweit am stärksten von der Pandemie betroffenen Länder. Seinen Status als Wirtschaftsmacht Nummer 1 in Afrika hat es verloren, die Währung befindet sich im freien Fall, Unruhe macht sich breit.

Mehr noch, Jacob Zuma, Ramaphosas Vorgänger, während dessen Amtszeit Korruption und Vetternwirtschaft einen ungeahnten Höhenflug erlebten, der ANC von internen Krisen gebeutelt wurde und die Institutionen der Republik in Frage gestellt, kalt gestellt und offen missachtet wurden, dieser Jacob Zuma bläst zum Angriff auf seinen Nachfolger. Es geht um viel dieser Tage. Es geht um die Zukunft Südafrikas. Und es geht um das Erbe Mandelas.

Ein Mann, alles zu retten
In den letzten Jahren der Apartheid ist Ramaphosa Gewerkschaftssekretär und um keinen Konflikt mit der damaligen Regierung verlegen. Als Nelson Mandela aus der Haft entlassen wird, begegnet ihm der junge Aktivist mit Misstrauen. Was weiß denn einer, der 28 Jahre in Haft war, von der südafrikanischen Realität, fragt er. Trotzdem, vielleicht auch deswegen, wird er schnell zu einem der engsten und wichtigsten Vertrauten Mandelas. Wann immer die Verhandlungen mit der National Party (NP) auf Messers Schneide stehen und kurz vor dem endgültigen Abbruch, beauftragt Mandela Ramaphosa damit, eine Lösung zu finden.

Ramaphosa findet sie. Jedes Mal.

In Südafrika spricht man damals, in den frühen 90er Jahren, von der Cyril- und Roelf-Show. Sein Gegenüber ist Roelf Meyer, Generalsekretär der NP, in langen Zweiergesprächen irgendwo im Busch, abgeschieden von der Welt und der südafrikanischen Politik zimmern die beiden Männer tragfähige Kompromisse.

1994, Nelson Mandela ist Präsident, gilt Ramaphosa als Kandidat für den ANC-Vorsitz. Mithin als Nachfolger des als Madiba verehrten Mandela.

Nelson Mandela © Gregory Fullard / unsplash

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Allein, er wird es nicht. An seiner Statt sichert sich Thabo Mbeki, aus altem ANC-Adel und lange Zeit im Exil, Position und Nachfolge. Ramaphosa scheidet aus der Politik aus, wird Unternehmer, wird einer der reichsten Südafrikaner.

Auf Mbeki folgt Jacob Zuma. Von Anfang an umstritten, damals schon in 783 Fällen der Korruption bezichtigt, umweht von Vorwürfen wiederholter Vergewaltigungen, aber vernetzt. Exzellent vernetzt und der absolute Gegenentwurf zu dem als abgehoben, als zu weiß erlebten Mbeki. Zuma soll es besser, soll endlich Politik für die breite Masse des Volks machen.

Inzwischen sind die überlasteten Gerichte Südafrikas damit beschäftigt, die handfesten Korruptionsvorwürfe aus seiner Amtszeit zu untersuchen, der Spur des Geldes zu folgen (bis nach Dubai), ein alle Bereiche, Ecken und Enden des Landes erfassendes Geflecht aus Vettern- und Misswirtschaft zu durchleuchten. Zuma ist offiziell angeklagt. Verhandlungsterminen bleibt er gewohnheitsmäßig fern, die Vorwürfe weist er samt und sonders zurück.

Ein knappes Votum
Seine Seilschaften sind intakt. Beinahe wäre es ihm geglückt, seine Ex-Frau Nkosazana Dlamini-Zuma als Nachfolgerin zu platzieren. Im Ringen um den ANC-Vorsitz 2017 aber setzte sich Cyril Ramaphosa durch. Knapp, mit 2440 Stimmen gegen 2261 für Dlamini-Zuma.

Dennoch, als Cyril Ramaphosa vor zwei Jahren das Amt des Präsidenten antritt, weht kurz ein Hauch von 1994 durch Südafrika, verbunden mit der Hoffnung auf einen neuen Morgen für das Land, auf einen Neustart.

Möglich wäre das. Wäre der ANC in sich geeint. Das ist diese bunte Koalition aus Interessensgruppen und Parteien aber nicht. Sie ist gespalten, untereinander uneins, verfehdet, zusammengehalten mehr aus Gewohnheit denn Überzeugung. Ramaphosa versucht, was er früher schon versucht hat, Kompromisse zu finden. Eine gemeinsame Basis zu definieren. Und der grassierenden Korruption in aller Konsequenz den Kampf anzusagen.

© ashim d´silva / unsplash

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Diesmal aber sitzt ihm nicht Roelf Meyer gegenüber, der mit ihm an einem großen gemeinsamen Ziel arbeitet. Ihm sitzen jene gegenüber, die über die Jahre vom System Zuma profitiert und Macht und Geld und Einfluss zu verlieren haben. Für Worte sind sie zu haben, nicht für Taten. Kaum im Amt, welkt Ramaphosa.

Corona und die Wirtschaftskrise tragen das Ihre dazu bei, dass er als schwach und immer schwächer wahrgenommen wird. Der rigide Lockdown trifft die Masse der armen Bevölkerung, Alkohol- und Nikotinverbot schaffen vernetzten Seilschaften grandiose Einnahmequellen. Die Hilfsmaßnahmen in Höhe von rund 26 Milliarden Euro für Menschen und Wirtschaft versanden unterdessen. Der Präsident schweigt. Von ein paar wenigen Reden abgesehen.

Anfang August 2020 nimmt Südafrika zum ersten Mal in seiner Geschichte einen Hilfskredit des Internationalen Währungsfonds in Anspruch. Ramaphosas Kritiker laufen zu Höchstform auf. Das Land habe seine Souveränität und seine Wirtschaft dem „White Monopoly Capital“ preisgegeben – ein Gegner, den Zuma oft und gerne für Missstände in Südafrika verantwortlich machte. Von bröckelnder Infrastruktur über ein marodes Stromnetz bis hin zum ineffizienten Bildungssystem und überhaupt alles.

Der Angeklagte Nummer 1
Mitten im Winter der südafrikanischen Corona- und Korruptionsdepression, am 23. August, schreibt Ramaphosa den ANC-Mitgliedern einen Brief. Der Inhalt ist keine Überraschung, aber unerwartet deutlich. Es ist eine vehemente Kampfansage an Korruption und Vetternwirtschaft. „Heute“, schreibt er, „werden der ANC und seine Führung der Korruption beschuldigt.“ Und er fährt fort: „Der ANC sitzt nicht alleine auf der Anklagebank. Aber er ist der Angeklagte Nummer 1.“

Den ANC-Mitgliedern, ganz Südafrika ist klar, wen er anspricht: Jacob Zuma, der sich oft und gerne als „Genosse Nummer 1“ titulieren ließ.

Ramaphosa zaudert nicht mehr, er zieht die Schrauben an.

Und Zuma bläst zum Gegenangriff. In einem Brief an seinen Nachfolger attackiert er dessen weitreichenden Anti-Korruptionsmaßnahmen. Er beschuldigt den Präsidenten, mit seiner Politik den ANC zerstören zu wollen und sich gegen den antikolonialen Kampf der Organisation zu stellen. Ein Sakrileg. Prompt werden Forderungen laut, Ramaphosa solle zurücktreten. Besser noch, das National Executive Committee (NEC) solle ihn in seiner Sitzung am 31. August ablösen. Der Sturz des Präsidenten durch das Netzwerk seines Vorgängers steht als reale Option im Raum.

Doch dann kommt alles anders. Einmütig stellen sich die 85 Mitglieder des Komitees hinter Ramaphosa. Ebenso einmütig wenn auch nicht enthusiastisch unterstützen sie seine Agenda. Ein Etappensieg, mehr nicht. Jetzt muss Ramaphosa liefern. Hoffnungsträger ist er keiner mehr, vielmehr der Kärrner vom Kap. (fksk/05.09.2020)