Shakespeare

Woche 49 – Bevor der Vorhang fällt

Da steht er nun, Donald Trump, und nutzt einmal noch die große Bühne seines Amtes. Er insistiert, er klagt und zürnt und droht, er sucht alle Möglichkeiten zu nutzen, das Unvermeidliche zu vermeiden. Mit ganzer Macht will er seine Wahrheit entgegen aller Fakten als allein gültige Wahrheit durchsetzen. Indes, seine Macht beginnt zu bröckeln. Ringsum lichten sich die Reihen, ziehen sich Mitstreiter und Minister vorsichtig zurück, nur die wahrhaft Gläubigen jubeln ihm noch zu, frenetischer noch als zuvor, glauben ihm, lieben ihn, wollen nicht von ihm lassen.

© Jon Tyson / unsplash.com

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Ihnen gibt er, was sie wollen. Wut, Zorn und Sündenböcke. Vornehmlich nun aus den eigenen Reihen. Er ruft republikanische Gouverneure auf, Wahlergebnisse zu annullieren, nennt sie Verräter und schlimmeres. Er feuert Mitarbeiter, Minister und eben noch Vertraute. Er räumt auf.

Es sind endzeitliche Auftritte. Großes Theater.

Das ist Shakespeare ganz in der Gegenwart. Trump gibt den Lear, den Richard III, den Macbeth. Und er gibt sie überzeugend.

Stephen Greenblatt, Professor für Englische und Amerikanische Literatur an der Harvard University, beschreibt in seinem Werk „Der Tyrann. Shakespeares Machtkunde für das 21. Jahrhundert“ (Siedler, 2018), kenntnisreich und im Detail, wie und unter welchen Umständen Tyrannen aufsteigen, wie sie herrschen, wie sie scheitern. Unseren großen Protagonisten nennt er dabei kein einziges Mal beim Namen, auch nicht die vielen anderen, die zahlreich die Weltbühne bevölkern.

Was er vielmehr herausarbeitet, sind die Typologien des Tyrannen und der Umstände, die ihn begünstigen. Wohlgemerkt, es geht bei Greenblatt ausschließlich um Shakespeares Werk, nicht um eine Momentaufnahme der Gegenwart.

Wenn das alles nur nicht so gegenwärtig wäre. Mitsamt der Liebdienerei, der Bereitschaft, sich zu unterwerfen, der Hoffnung, dass ein wenig Macht abfallen möge, mit dem Ausblenden aller moralischen und rechtlichen Vorgaben und Rahmen.

Der Tyrann, von sich überzeugt, vom Scheitel bis zur Sohle ganz auf sich und nur auf sich eingestellt, stößt unweigerlich auf Widerhall und Sympathie. Schlicht, weil er alle Konvention bricht. Weil er aufräumt, entscheidet, Fakten schafft.

Das ist mit eine der Gaben, die dem Tyrannen gegeben ist, wenigstens auf Zeit, er schafft Fakten, selbst wenn sie auf Lug und Trug aufbauen, ihre Basis eigentlich nicht tragen dürfte. Sie tut es aus dem Grund, dass dem Tyrannen geglaubt wird, ihm die Macht und das Vermögen zugeschrieben werden, wider aller Gesetzmäßigkeiten eine neue Welt aufzubauen. Der Tyrann, das bringt Shakespeare ein ums andere Mal auf die Bühne, kann nur werden, indem die Gesellschaft ihn werden lässt. Indem sie nur allzu bereit ist, schwarz als weiß und heiß als kalt wahrzunehmen und so auch zu benennen.

Davon hat der Immobilienmagnat aus New York sich höher und immer höher tragen lassen. Als Reality-TV-Star, als politische Randfigur, als Kandidat, als Präsident. Ein Wirbelsturm, ein Naturereignis, ein Schauspiel, das nicht nur das amerikanische Publikum in seinen Bann gezogen hat, sondern gleich das des gesamten Planeten. Die Welt als seine Bühne.

Nun zeichnet Shakespeare nicht nur den Aufstieg seiner Tyrannen nach, er schildert stets auch ihr finales Scheitern. Was, erfreulich für das Publikum, im Theater binnen eines Abends, innerhalb einiger Akte sich vollzieht. Im wahren Leben dauert es.

So bestreitet denn nun Donald Trump den letzten Akt, er ruft ganz ungeniert zum Bruch amerikanischer Gesetze. Er bäumt sich auf, zieht einmal noch alle Blicke auf sich, will den Lauf der Dinge noch einmal wenden, wie er ihn so oft schon wenden konnte. Das Publikum indes weiß schon, dass unweigerlich der Vorhang fällt. Spätestens im Jänner.

Auf der Bühne ist damit meist ein Akt der Selbsterkenntnis, der Reue und Einsicht zu sehen. Oder aber das gnadenlose Ende, der tiefe Sturz des Tyrannen. Das Publikum atmet dann auf, erleichtert, dass alles nur ein Theater war.

Trump aber, der so sehr eine Figur des englischen Dramatikers sein könnte, Trump ist ganz und gar Reality-TV. Er arbeitet jetzt schon an den nächsten Staffeln seiner Saga: „Trump – das Exil“, „Trump – die Revanche“, „Trump – die Abrechnung“. Ab Jänner, live aus Mar-a-Lago.

So das Publikum seiner nicht doch noch überdrüssig wird. (fksk/07.12.20)