Der einen Albtraum ist der anderen Wunschtraum. Donald Trump kann zum dritten Mal einen Richterposten am Supreme Court mit einer Person seiner Wahl besetzen. Auf Lebenszeit.
Entsprechend hoch gehen die Wogen. Vor vier Jahren verwehrte der republikanisch dominierte Senat Barack Obama eine Besetzung und argumentierte, das Recht stünde denn doch einem neugewählten Präsidenten zu, nicht dem gerade noch amtierenden.
Dass der republikanisch dominierte Senat heute ganz anders argumentiert, verwundert nicht weiter. „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, nichts hindert mich, klüger zu werden“, deponierte einst Deutschlands Bundeskanzler Konrad Adenauer. Politiker in aller Welt haben sich diese Weisheit zu eigen gemacht. Ob aus Gründen neu gewonnener Klugheit oder aus Gründen politischer Opportunität und Billigkeit, das bleibe dahingestellt.
Trump hat dieser Tage die konservative Richterin Amy Coney Barrett vorgeschlagen und es sollte mit dem Teufel zugehen, würde sie nicht noch vor der Wahl am 3. November vom Senat bestätigt werden.
Man darf sich Trump gerade jetzt als glücklichen Menschen vorstellen.
Wenn er sich nur nicht verrechnet.
Auf dem Papier stehen dann sechs konservative Richter drei liberalen gegenüber. Doch es sind Richter an einer traditionsreichen Institution, einer der tragenden Säulen der Vereinigten Staaten. Diese Hüter der Verfassung haben durchaus ihren eigenen Kopf. Das hat Trump schon zu spüren bekommen.
Im November 2018 richtete ihm der – konservative und von George W. Bush bestellte – Chief Justice und also Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs, John Roberts, über die Medien aus: „Wir haben keine Obama-Richter oder Trump-Richter“.
Sie sind Richter. Keine Politiker. Noch vor Ginsburgs Tod entschied der bereits konservativ dominierte Supreme Court (mit zwei von Trump berufenen Richtern) für LGTBQ-Rechte und zugunsten des geltenden Abtreibungsrechts. „Konservativ“ und „liberal“, so merkt Emma Long von der University of East Anglia in einem Beitrag auf The Conversation an, werden in Öffentlichkeit schlicht mit „Republikaner“ oder eben „Demokrat“ gleichgesetzt: „Aber das ist viel zu einfach und übergeht die ständigen Dementis der Richter, dass sie Entscheidungen auf der Grundlage der Parteipolitik treffen. Liberal und konservativ sollten vielmehr als die Herangehensweise der Richter an das Lesen, Verstehen und Anwenden des Gesetzes betrachtet werden. Obwohl sich dies natürlich mit ihrer persönlichen Politik überschneiden kann, ist es nicht ganz dasselbe wie das Treffen politischer Entscheidungen.“
Das ist das Wesen großer Institutionen. Sie formen auch die Menschen, die sie repräsentieren (Ausnahmen bestätigen die Regel). Genießt eine solche Institution zudem den Ruf absoluter Integrität und Unabhängigkeit, lösen sich auch ihre Vertreter von (partei)politischen Naheverhältnissen.
Es war Ruth Bader Ginsburg, die es ablehnte, zu Zeiten eines demokratischen Präsidenten in den Ruhestand zu treten um damit eine „liberale“ Wahl für ihre Nachfolge zu sichern. Sie war für dieses politische Spiel nicht zu haben.
So gesehen war sie „illoyal“ gegenüber den Liberalen, den Demokraten. Aber sie war loyal gegenüber der Institution, dem Obersten Gerichtshof und der Verfassung der Vereinigten Staaten. Sie war, im Sinne des Wortes, politisch unparteiisch. Man kann sagen, sie war frei. So, wie es auch John Roberts ist.
Unmittelbar bevor Trump offiziell Frau Barrett als seine Kandidatin bekanntgab, traf er sich im Oval Office mit Vertretern der Evangelikalen, seiner loyalsten Wählergruppe. Er hat geliefert, was sie sich von ihm erwartet haben. Über 200 neue und durchwegs konservative Richter in allen Bundestaaten der USA. Und jetzt, als Trophäe gleichsam, liefert er ihnen den Obersten Gerichtshof. Dafür liefern die Strengreligiösen ihm Stimmen.
So läuft das bei Trump. So läuft das in der Politik.
Fragt sich nur, ob auch der Gerichtshof in seiner konservativen Mehrheit sich Trump und den Evangelikalen verpflichtet sieht. Zweifel sind angebracht. (fksk/27.9.20)