Woche für Woche dasselbe Bild: Lautstark bimmelnd, läutend, trommelnd, juchzend und jauchzend bisweilen, dann und wann auch schreiend, tobend, brüllend protestieren trotzig Tausende gegen die Coronamaßnahmen. Gegen die Impfpflicht, gegen die Impfung ansich, gegen eine Weltverschwörung, die sie zu erkennen meinen. Und gegen die sie aufstehen, dicht an dicht gedrängt, gegen die Diktatur, die in ihren Augen herrscht.
Für Außenstehende im besten Fall ein Karneval irrationaler Narretei. Für viel mehr ein Ärgernis, eine Zumutung. Letzteres auf jeden Fall.
Unter den Demonstranten, vielmehr ihnen allen voran, marschiert durchwegs die radikale Rechte. Junge Identitäre. Alte, feiste Neonazi. Ewige Antisemiten. In der Wolle gefärbte Antidemokraten. Und ihnen folgt ein Kessel Buntes, von ehemaligen Grünpolitikerinnen über Anthroposophen, Friedensbewegten, ewig Widerständigen, Wirtschaftskritischen bis hin zu Verunsicherten, Zweifelnden und aufrichtig Besorgten.
Als Begleiterscheinung einer Pandemie ließe sich das beschreiben. Mithin als ein Phänomen, das kommt und geht, analog den Wellenbewegungen der Krankheit, als ein Pendelschlag der Frustration. Doch was sich hier samstags manifestiert, und nicht nur samstags und nicht nur in Wien, viel öfter bereits in den mittelgroßen Städten und kleinen Marktflecken der Provinz, getragen von offener und ungehemmter Aggression, ist ein Teil der Gesellschaft, der sich aus der Gesellschaft verabschiedet. Wobei letztere nicht darauf zu reagieren weiß.
Wäre es denn nicht an der Zeit, dem Treiben ein Ende zu setzen? Die Zumutung offenen Hasses und gezielter Falschmeldungen schlicht und einfach zu unterbinden, die Demonstrationen nicht länger zu genehmigen und hinzunehmen, mit aller Konsequenz gegen Verstöße vorzugehen. Eben zu zeigen, dass der Staat nicht bereit ist, alles hinzunehmen.
Nicht gelbe Judensterne mit dem Wort „Ungeimpft“, nicht Vergleiche mit den Verbrechen des NS-Regimes, nicht die Lügen, nicht die kaum verholenen Aufrufe zu Gewalt. Nicht das Belagern von Kindergärten, von Eislaufplätzen, von Spitälern. Nicht die Drohungen und Angriffe gegen Pflege- und medizinisches Personal. Nicht die Aufmärsche vor den Wohnhäusern von Lokalpolitikern.
Das Demonstrationsrecht ist ein zentraler Bestandteil unserer liberalen und demokratischen Rechtsordnung. Gehen Menschen auf die Straße, für ihre Sache einzustehen, ist das die unmittelbarste Form der Meinungsfreiheit. Dem gebührt Respekt, weswegen Manifestationen, auch wenn sie von der Mehrheit als Zumutung empfunden werden, nicht untersagt werden dürfen. Eben weil sie uns etwas zumuten. Nichts weniger als die Auseinandersetzung mit anderen Ansichten und Meinungen, mögen sie noch so verquer und empörend erscheinen.
Also Nase zu und ignorieren?
Auch das ist keine Lösung. Wenigstens keine, die zielführend ist. Jene, die da demonstrieren, machen der Mehrheitsgesellschaft ein Angebot. Und zwar genau hinzuschauen, wer da mit wem Arm in Arm marschiert. Und zu überlegen, wer in dieser disparaten Koalition ansprechbar ist, erreichbar für eine grundsätzliche Debatte. Denn über die Einführung der Impfpflicht kann, soll und muss in der Tiefe diskutiert werden. Ganz so wie über kleine und große Freiheitsbeschränkungen im Namen der Pandemiebekämpfung oder über die Rolle des Staates dabei. Diese Auseinandersetzungen sind es wert geführt zu werden. Selbst wenn sie nie zu einer einheitlichen, gemeinsamen Sichtweise führen mögen, so können sie dazu beitragen, dass die Gesellschaft ansich diskussionsbereiter wird, und in weiterer Folge Zumutungen nicht schlicht als Beleidigung betrachtet, sondern als Möglichkeit, als Anstoß, über den Tellerrand hinauszudenken, seine eigene Haltung und Meinung auf die Probe zu stellen, sich ihrer Validität zu versichern.
Gleichzeitig gilt es, klare Grenzen zu setzen und Verstöße zu exekutieren. Alles das, was oben bereits genannt wurde, was bei den Aufmärschen zusehend zur Norm wird, all die gezielte rechtsradikale Grenzüberschreitung, muss unmittelbar und in aller Konsequenz geahndet werden. Mit Anzeigen, mit Gerichtsverfahren. Selbst wenn es, um einen österreichischen Kurzzeitkanzler zu zitieren, dabei „unschöne Bilder“ geben mag. Sich nicht von falschem Verständnis oder von der Angst vor Eskalation am Nasenring vorführen zu lassen, das ist die Demokratie sich hier schuldig. Hier muss das Innenministerium aktiv werden.
Auch damit jene unter den Demonstranten, die bisher ihre Mitmarschierer entschuldigen oder ausblenden, wahrnehmen, in welcher Gesellschaft sie sich befinden. Es liegt an ihnen, diese Koalition aufzukündigen. (fksk, 23.01.22)