Impfpflicht

Woche 06 – Adieu, Impfpflicht

Von jetzt an Augen zu und mit Vollgas retour. Das ist, so scheint es, das Motto der österreichischen Regierung in Sachen Impfpflicht. Es treten auf eine paar Landshauptleute, die immer noch ihr Glück nicht fassen können, in der heimischen Innenpolitik wieder (über)gewichtige Rollen einnehmen zu dürfen, dazu ein Ärztekammerpräsident aus einem westlichen Bundesland und ein Bundeskanzler auf dem Weg aus dem Skiurlaub. Und allen ist gemein, dass sie die vor kurzem beschlossene und kürzlich in Kraft getretene (wegen fehlender technischer Voraussetzungen ohnedies nur halbe) Impfpflicht ganz en passant in den Kübel treten.

Die österreichische Regierung nimmt den Kampf gegen die Pandemie auf. Ernsthaft.
© Mika Baumeister / unsplash.com

Es sollten, so der ob seiner virologischen Fachkompetenz weithin gerühmte Salzburger Landshauptmann, doch die Experten das Gesetz alsbald evaluieren. Ihm sekundiert die Landeshauptfrau aus Niederösterreich. Und dann wirft sich der Tiroler Ärztekammerpräsident in die Bresche und überlegt eine Aussetzung der Impfpflicht, um die Gesellschaft nicht zu spalten.

Freie Bahn mithin für den Kanzler, der aus dem Auto heraus ein Interview gibt, und die Entscheidung darüber, ob das Gesetz weiterhin gilt, den Experten anheimstellt.

Man merke, nicht der Politik.

Das war es dann, mit der Impfpflicht in Österreich.

Sie wurde schnell und ohne die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen zu haben, in die Welt gesetzt. Von Anbeginn also ein etwas ungeschlachtes Ding, weswegen eine Impflotterie Gesetz und Pflicht aufhübschen hätte sollen. Sie wurde von der Politik schon konterkariert, bevor sie überhaupt noch in Kraft getreten war. Und jetzt soll sie bitte schnell wieder verschwinden. Auch aus der Erinnerung der Menschen in diesem Land, die – Gott sei es geklagt – wählen dürfen und wählen werden. Zwar erst in einem Jahr. Aber dann in Niederösterreich. Und in Salzburg.

Es gab und gibt viele gute Gründe, einer Pflicht zum Impfen abwartend, skeptisch oder auch ablehnend gegenüberzustehen, nicht zuletzt die Verhältnismäßigkeit dieser Pflicht. Und das Spannungsverhältnis zwischen individueller und gesellschaftlicher Freiheit, Fragen von Solidarität und Verantwortungsbewusstsein. Das sind Fragen, die in einer Demokratie dringend und immer wieder verhandelt werden müssen. In den Parlamenten, in den Medien, auf der Straße und auf den Bühnen. Und diese Fragen sind es wert, dass ein Gesetz noch ein wenig zuwartet, bevor es beschlossen wird.

Zudem gab es noch mehr und bessere Gründe, der Impfpflicht in ihrer österreichischen Ausformung mit allergrößter Vorsicht zu begegnen. Kaum eine, wenn nicht keine Regierung hat es je zuwege gebracht, in so kurzer Zeit so viel legistischen Unsinn zu produzieren, wie diese. Nach zwei Jahren der Pandemie immer noch derart unbedarft in einen Gesetzgebungsprozess zu stolpern, die Einwände der IT nicht zur Kenntnis zu nehmen und dann aus lauter „jetzt erst recht“ das entsprechende Gesetz im Nationalrat zu verabschieden, ist von besonderer Qualität.

Dass nun aber ein Regierungschef sich hinstellt und binnen kürzester Zeit vor aller Augen Kindsweglegung betreibt, das ist einmalig in seiner Erbärmlichkeit. Derselbe Mann, der vor ein paar Wochen noch die Impfpflicht strikt, wenn auch nicht wortreich, denn Wortreichtum ist seine Sache nicht, eingefordert hat, derselbe Mann, der als Bundeskanzler mit der Opposition dieses Gesetz verhandelt hat, um eine möglichst breite Mehrheit sicherzustellen, dieser Mann hat nicht den Mumm, für dieses sein Gesetz einzustehen und es zu verteidigen. Er fällt allen, die im Nationalrat für dieses Gesetz gestimmt haben, manche trotz gravierender Bedenken, in den Rücken.

So beschädigt man demokratische Prozesse, demokratische Institutionen, die Demokratie ansich. Und zwar dauerhaft. Dass Karl Nehammer sich damit selbst auch beschädigt, ist angesichts des größeren Schadens wahrlich kein Trost. (fksk, 13.02.22)

Woche 03 – Eine Zumutung

Woche für Woche dasselbe Bild: Lautstark bimmelnd, läutend, trommelnd, juchzend und jauchzend bisweilen, dann und wann auch schreiend, tobend, brüllend protestieren trotzig Tausende gegen die Coronamaßnahmen. Gegen die Impfpflicht, gegen die Impfung ansich, gegen eine Weltverschwörung, die sie zu erkennen meinen. Und gegen die sie aufstehen, dicht an dicht gedrängt, gegen die Diktatur, die in ihren Augen herrscht.

Demonstration in der Schweiz © Kajetan Sumila/unsplash.com

Für Außenstehende im besten Fall ein Karneval irrationaler Narretei. Für viel mehr ein Ärgernis, eine Zumutung. Letzteres auf jeden Fall.

Unter den Demonstranten, vielmehr ihnen allen voran, marschiert durchwegs die radikale Rechte. Junge Identitäre. Alte, feiste Neonazi. Ewige Antisemiten. In der Wolle gefärbte Antidemokraten. Und ihnen folgt ein Kessel Buntes, von ehemaligen Grünpolitikerinnen über Anthroposophen, Friedensbewegten, ewig Widerständigen, Wirtschaftskritischen bis hin zu Verunsicherten, Zweifelnden und aufrichtig Besorgten.

Als Begleiterscheinung einer Pandemie ließe sich das beschreiben. Mithin als ein Phänomen, das kommt und geht, analog den Wellenbewegungen der Krankheit, als ein Pendelschlag der Frustration. Doch was sich hier samstags manifestiert, und nicht nur samstags und nicht nur in Wien, viel öfter bereits in den mittelgroßen Städten und kleinen Marktflecken der Provinz, getragen von offener und ungehemmter Aggression, ist ein Teil der Gesellschaft, der sich aus der Gesellschaft verabschiedet. Wobei letztere nicht darauf zu reagieren weiß.

Wäre es denn nicht an der Zeit, dem Treiben ein Ende zu setzen? Die Zumutung offenen Hasses und gezielter Falschmeldungen schlicht und einfach zu unterbinden, die Demonstrationen nicht länger zu genehmigen und hinzunehmen, mit aller Konsequenz gegen Verstöße vorzugehen. Eben zu zeigen, dass der Staat nicht bereit ist, alles hinzunehmen.

Nicht gelbe Judensterne mit dem Wort „Ungeimpft“, nicht Vergleiche mit den Verbrechen des NS-Regimes, nicht die Lügen, nicht die kaum verholenen Aufrufe zu Gewalt. Nicht das Belagern von Kindergärten, von Eislaufplätzen, von Spitälern. Nicht die Drohungen und Angriffe gegen Pflege- und medizinisches Personal. Nicht die Aufmärsche vor den Wohnhäusern von Lokalpolitikern.

Das Demonstrationsrecht ist ein zentraler Bestandteil unserer liberalen und demokratischen Rechtsordnung. Gehen Menschen auf die Straße, für ihre Sache einzustehen, ist das die unmittelbarste Form der Meinungsfreiheit. Dem gebührt Respekt, weswegen Manifestationen, auch wenn sie von der Mehrheit als Zumutung empfunden werden, nicht untersagt werden dürfen. Eben weil sie uns etwas zumuten. Nichts weniger als die Auseinandersetzung mit anderen Ansichten und Meinungen, mögen sie noch so verquer und empörend erscheinen.

Also Nase zu und ignorieren?

Auch das ist keine Lösung. Wenigstens keine, die zielführend ist. Jene, die da demonstrieren, machen der Mehrheitsgesellschaft ein Angebot. Und zwar genau hinzuschauen, wer da mit wem Arm in Arm marschiert. Und zu überlegen, wer in dieser disparaten Koalition ansprechbar ist, erreichbar für eine grundsätzliche Debatte. Denn über die Einführung der Impfpflicht kann, soll und muss in der Tiefe diskutiert werden. Ganz so wie über kleine und große Freiheitsbeschränkungen im Namen der Pandemiebekämpfung oder über die Rolle des Staates dabei. Diese Auseinandersetzungen sind es wert geführt zu werden. Selbst wenn sie nie zu einer einheitlichen, gemeinsamen Sichtweise führen mögen, so können sie dazu beitragen, dass die Gesellschaft ansich diskussionsbereiter wird, und in weiterer Folge Zumutungen nicht schlicht als Beleidigung betrachtet, sondern als Möglichkeit, als Anstoß, über den Tellerrand hinauszudenken, seine eigene Haltung und Meinung auf die Probe zu stellen, sich ihrer Validität zu versichern.

Gleichzeitig gilt es, klare Grenzen zu setzen und Verstöße zu exekutieren. Alles das, was oben bereits genannt wurde, was bei den Aufmärschen zusehend zur Norm wird, all die gezielte rechtsradikale Grenzüberschreitung, muss unmittelbar und in aller Konsequenz geahndet werden. Mit Anzeigen, mit Gerichtsverfahren. Selbst wenn es, um einen österreichischen Kurzzeitkanzler zu zitieren, dabei „unschöne Bilder“ geben mag. Sich nicht von falschem Verständnis oder von der Angst vor Eskalation am Nasenring vorführen zu lassen, das ist die Demokratie sich hier schuldig. Hier muss das Innenministerium aktiv werden.

Auch damit jene unter den Demonstranten, die bisher ihre Mitmarschierer entschuldigen oder ausblenden, wahrnehmen, in welcher Gesellschaft sie sich befinden. Es liegt an ihnen, diese Koalition aufzukündigen. (fksk, 23.01.22)