Von jetzt an Augen zu und mit Vollgas retour. Das ist, so scheint es, das Motto der österreichischen Regierung in Sachen Impfpflicht. Es treten auf eine paar Landshauptleute, die immer noch ihr Glück nicht fassen können, in der heimischen Innenpolitik wieder (über)gewichtige Rollen einnehmen zu dürfen, dazu ein Ärztekammerpräsident aus einem westlichen Bundesland und ein Bundeskanzler auf dem Weg aus dem Skiurlaub. Und allen ist gemein, dass sie die vor kurzem beschlossene und kürzlich in Kraft getretene (wegen fehlender technischer Voraussetzungen ohnedies nur halbe) Impfpflicht ganz en passant in den Kübel treten.
Es sollten, so der ob seiner virologischen Fachkompetenz weithin gerühmte Salzburger Landshauptmann, doch die Experten das Gesetz alsbald evaluieren. Ihm sekundiert die Landeshauptfrau aus Niederösterreich. Und dann wirft sich der Tiroler Ärztekammerpräsident in die Bresche und überlegt eine Aussetzung der Impfpflicht, um die Gesellschaft nicht zu spalten.
Freie Bahn mithin für den Kanzler, der aus dem Auto heraus ein Interview gibt, und die Entscheidung darüber, ob das Gesetz weiterhin gilt, den Experten anheimstellt.
Man merke, nicht der Politik.
Das war es dann, mit der Impfpflicht in Österreich.
Sie wurde schnell und ohne die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen zu haben, in die Welt gesetzt. Von Anbeginn also ein etwas ungeschlachtes Ding, weswegen eine Impflotterie Gesetz und Pflicht aufhübschen hätte sollen. Sie wurde von der Politik schon konterkariert, bevor sie überhaupt noch in Kraft getreten war. Und jetzt soll sie bitte schnell wieder verschwinden. Auch aus der Erinnerung der Menschen in diesem Land, die – Gott sei es geklagt – wählen dürfen und wählen werden. Zwar erst in einem Jahr. Aber dann in Niederösterreich. Und in Salzburg.
Es gab und gibt viele gute Gründe, einer Pflicht zum Impfen abwartend, skeptisch oder auch ablehnend gegenüberzustehen, nicht zuletzt die Verhältnismäßigkeit dieser Pflicht. Und das Spannungsverhältnis zwischen individueller und gesellschaftlicher Freiheit, Fragen von Solidarität und Verantwortungsbewusstsein. Das sind Fragen, die in einer Demokratie dringend und immer wieder verhandelt werden müssen. In den Parlamenten, in den Medien, auf der Straße und auf den Bühnen. Und diese Fragen sind es wert, dass ein Gesetz noch ein wenig zuwartet, bevor es beschlossen wird.
Zudem gab es noch mehr und bessere Gründe, der Impfpflicht in ihrer österreichischen Ausformung mit allergrößter Vorsicht zu begegnen. Kaum eine, wenn nicht keine Regierung hat es je zuwege gebracht, in so kurzer Zeit so viel legistischen Unsinn zu produzieren, wie diese. Nach zwei Jahren der Pandemie immer noch derart unbedarft in einen Gesetzgebungsprozess zu stolpern, die Einwände der IT nicht zur Kenntnis zu nehmen und dann aus lauter „jetzt erst recht“ das entsprechende Gesetz im Nationalrat zu verabschieden, ist von besonderer Qualität.
Dass nun aber ein Regierungschef sich hinstellt und binnen kürzester Zeit vor aller Augen Kindsweglegung betreibt, das ist einmalig in seiner Erbärmlichkeit. Derselbe Mann, der vor ein paar Wochen noch die Impfpflicht strikt, wenn auch nicht wortreich, denn Wortreichtum ist seine Sache nicht, eingefordert hat, derselbe Mann, der als Bundeskanzler mit der Opposition dieses Gesetz verhandelt hat, um eine möglichst breite Mehrheit sicherzustellen, dieser Mann hat nicht den Mumm, für dieses sein Gesetz einzustehen und es zu verteidigen. Er fällt allen, die im Nationalrat für dieses Gesetz gestimmt haben, manche trotz gravierender Bedenken, in den Rücken.
So beschädigt man demokratische Prozesse, demokratische Institutionen, die Demokratie ansich. Und zwar dauerhaft. Dass Karl Nehammer sich damit selbst auch beschädigt, ist angesichts des größeren Schadens wahrlich kein Trost. (fksk, 13.02.22)