Es ist ein Bild, das man nicht so leicht vergisst. Unter all den tausenden Demonstranten, die in Tiflis gegen das „Fremde Agenten“-Gesetz auf die Straße gehen, ist diese eine Frau, die das Sternenbanner der EU schwenkt. Bis der Strahl des Wasserwerfers sie trifft und zurückdrängt. Aber sie bleibt nicht alleine, ein Mann stärkt ihr den Rücken, gemeinsam stemmen sie sich gegen den nächsten Strahl, werden abermals zurückgedrängt, bis immer mehr Menschen sich um die Frau mit dem Sternenbanner scharen und gemeinsam vordrängen.
Die Regierung in Georgien hat den Gesetzesentwurf, der sich am russischen Vorbild orientierte, zurückgezogen. Das Regime in Moskau klagt, der Westen inszeniere in der Ukraine die nächste Farbenrevolution. Begleitet wird der Vorwurf von der kaum verhohlenen Drohung einer Intervention.
Währenddessen hört der Widerstand gegen das Mullah Regime in Iran nicht und nicht auf. Es gibt Demonstrationen, es gibt tausende Akte des Ungehorsams, es schaffen die Kleriker und ihre Schergen es nicht, das Land in Friedhofsruhe zu stürzen. Und in der Ukraine wird immer noch um Bakhmut gekämpft. Was als Demonstration russischer Macht gedacht war und binnen Tagen hätte erledigt sein sollen, ist dank des ukrainischen Widerstands zu einem Krieg geworden, der sogar das Auseinanderbrechen Russlands in den Bereich des Möglichen rückt.
Das alles sorgt für Nervosität. In Russland wie auch andernorts. Es treffen, auf Initiative Chinas, einander saudi-arabische und iranische Unterhändler, sie reden miteinander, sie entdecken gemeinsame Interessen. Im Angesicht einer möglichen demokratischen Revolution in Iran finden sunnitische und schiitische Hardliner schnell zu einer gemeinsamen Basis. Kein Wunder. China wiederum versichert Russland seiner Solidarität und wirft den USA vor, eine aggressive Politik zu verfolgen.
Es ist bemerkenswert. Vor drei Jahren erst wurden die Stärken der autoritären und diktatorischen Regime im Vergleich zu den demokratischen Gesellschaften hervorgehoben, besprochen, von manchen offensiv bewundert und als Auftakt des unweigerlichen Niedergangs des Westens interpretiert. Und jetzt das. Da nehmen ein Land und seine Menschen einen Krieg auf sich, um ihre mühsam erworbenen demokratischen Errungenschaften gegen einen Aggressor zu verteidigen. Da gehen in Iran Hunderttausende wieder und wieder und wieder auf die Straße, um für Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung und Menschenwürde einzustehen, auch mit ihren Leben und ihrer Gesundheit. Da strömen Tausende in Georgien auf die Plätze und Straßen der Hauptstadt, um einen Angriff auf ihr demokratisches System abzuwehren. Und in Belarus ringen immer noch Menschen allen Verfolgungen und Strafen zum Trotz darum, ein demokratisches Gemeinwesen zu erlangen.
Der Siegeszug des autoritären Staates, er kommt doch nicht so recht in Schwung. Im Gegenteil. Eine freie Ukraine stärkt die Opposition in Belarus und strahlt als Gegenentwurf zum Moskauer Modell bis tief nach Russland. Ein gefestigt demokratisches Georgien macht Russland als Ordnungsmacht im Kaukasus obsolet. Und ein demokratischer Iran stellt die Verhältnisse im Nahen Osten auf den Kopf, als die Religion als Machtfaktor entfiele. Im Grunde also müssten allen voran die europäischen Staaten und die Union alles tun, diese Bewegungen zu unterstützen. Und sei es nur, dass ihnen mehr Öffentlichkeit in Europa und damit in der Welt zuteil wird.
Hier nun hakt es. Europa unterstützt die Ukraine mit Waffensystemen, Munition und Ausbildung, mit humanitärer Hilfe und mit Geld. Vor allem aber steht Europa geeint gegen die russische Aggression. Das darf nicht gering geschätzt werden.
Geht es hingegen um Belarus, um Georgien, um Iran wird Europa leise. Sehr leise und wendet sich anderen Themen zu. Ganz so, als wüsste Europa mit all der Veränderung in seiner unmittelbaren Nachbarschaft nichts anzufangen.
Es braucht keine Intervention der EU, es braucht auch keine gutgemeinten Ratschläge, keine Bevormundung, kein Besserwissen, das von Europa aus an die Menschen in Iran, Georgien, Belarus und der Ukraine gerichtet wird. Aber es braucht die Aufmerksamkeit, die Rezeption dessen, was geschieht. Zu wissen, dass man nicht alleine gegen ein Regime steht, dass vielmehr die Augen der Welt auf eine Bewegung und ihre Menschen gerichtet sind, dass ihr Tun und Handeln ebenso gesehen und registriert werden wie das der Regime, gegen die sie sich wenden, ist essenziell.
Es bedarf dazu einer europäischen Standortbestimmung und klarer, unmissverständlicher Positionen gegenüber autoritären Regimen. Bei aller Diplomatie, bei aller Bereitschaft, strittige Punkte in Gesprächen zu behandeln, ist Eindeutigkeit unverzichtbar. Europa kann und darf seine Grundwerte der Menschenrechte und Menschenwürde nicht länger je nach Opportunität situationselastisch interpretieren. Das höhlt sie aus, entwertet sie und macht sie zur billigen Verhandlungsmasse.
Der Europäischen Union öffnet sich ein Fenster, sich selbst und ihre Beziehungen zu ihren Nachbarn substanziell neu zu definieren. Nach außen, indem die Union und ihre Mitgliedstaaten unmissverständlich für Grundrechte und -werte einstehen. Auch wenn das manchen Geschäftsbeziehungen nicht unbedingt zuträglich ist. Vor allem aber nach innen, indem Demokratie und die Werte der demokratischen Gesellschaften bewusst in aller Konsequenz gelebt werden. Das ist nicht immer einfach. Aber es ist grundnotwendig – auch gegenüber den Menschen in Iran, Georgien, Belarus und der Ukraine, die dafür ihre Leben einsetzen. (fksk, 12.03.23)