Heinz Fischer

Woche 04 – Heinz Fischer oder: Die Welt von Gestern

Vier Wochen noch bis zum Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine. Deutschland gibt den Leopard frei, die USA sichern Kyiv Abrams M1 Panzer zu, Polen liefert zusätzlich ältere Modelle der sowjetischen T-Serie. Die Schlacht um Bakhmut hält unvermindert an, Kyiv spricht von einer schwierigen Lage, in der die ukrainischen Soldaten ihre Stellungen halten. Unterdessen gehen die russischen Raketen- und Bombenangriffe auf zivile Infrastruktur in der Ukraine weiter, in den westlichen Medien gerinnen sie langsam zu Alltagsmeldungen und verschwinden aus den Schlagzeilen. In der Nacht von Samstag auf Sonntag werden in Iran offenbar Angriffe auf militärische Einrichtungen und Drohnen-Fabriken durchgeführt. Das Regime meint, es sei kein Schaden entstanden. Die Opposition hingegen geht von größeren Schäden aus. Wer hinter den Angriffen steckt und sie durchführt, ist unklar.

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In Österreich gibt derweil Altbundespräsident Heinz Fischer dem SPÖ-Online-Magazin kontrast.at ein Interview. Darin spricht er über die Entwicklung des österreichischen Parlaments seit den 60er Jahren, über das Vertrauen der Menschen in die Politik und er spricht über den Krieg in der Ukraine sowie über die Neutralität Österreichs. Es sind vor allem diese Passagen, die dieses Gespräch zwischen Patricia Huber und dem großen alten Mann der österreichischen Sozialdemokratie so lesenswert machen. Sie legen ein Denken frei, welches das Weltbild der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts vollständig konserviert hat und – nebenbei bemerkt –, mit einer etwas fragwürdige Wahrnehmung der Position Österreichs im internationalen Geschehen verbindet.

Also spricht Fischer: „Die Neutralität ist generell für Außen- und Friedenspolitik wichtig, nicht nur für eine sozialdemokratische. [...] In der Zeit der großen Blöcke – Ost und West – war die Neutralität für Österreich wirklich eine sehr gute Lösung, die sich mit der Zeit immer fester im Bewusstsein der Bevölkerung verankert hat – so ähnlich wie das auch in der Schweiz schon viel länger und viel früher der Fall war. Es nützt ganz einfach der Friedenspolitik, wenn nicht alle Länder in Nato oder Warschauer Pakt, in Ost oder West eingeteilt sind.“

Nun mag man Fischer zugestehen, dass er die prägenden Jahre seiner politischen Karriere in den 70er und 80er Jahren erlebt hat, dass er indes vom Warschauer Pakt immer noch im Präsens spricht, mutet seltsam an. Der Konflikt des Westens mit Russland ist eben kein Ost-West-Konflikt mehr, als von Estland, Lettland, Litauen und Polen über Tschechien, die Slowakei, Ungarn bis hin zu Rumänien und Bulgarien der europäische Osten Teil der EU und der Nato geworden ist. Freiwillig, aus eigenen Stücken, und aus dem Bestreben heraus, sich als Nationen gegen Russland und seine imperialen Ambitionen rückzuversichern. Hört man Fischer zu, dann hört man – dem Präsens sei Dank – sein Verständnis für Russlands Klage von der Nato „eingekreist“ zu werden. Dann spricht daraus Verständnis dafür, dass Russland Anspruch auf die Wahrung seiner traditionellen, sprich sowjetischen, Einflusssphäre erhebt.

Fischer hat Putin einmal schon öffentlichkeitswirksam und wortwörtlich den Rücken gestärkt, er tut es auch in diesem Interview, wenn er über die Ursache der russischen Aggression sinniert: „Kriege haben immer einen langen Vorlauf und die Situation zwischen Russland und der Ukraine war schon Jahrzehnte lang eine sehr schwierige und spannungsgeladene. In der Ukraine hat es einen russischen Flügel und einen pro-westlichen Flügel gegeben, die haben sich bekämpft. Sie haben sich am Maidan gegenseitig beschossen. Österreich zählt nicht in eine Gruppe solcher Staaten, die so umstritten und so umkämpft sind. Ich glaube, dass der Westen sich freut, dass Österreich ihm keine Sorgen macht und ich glaube, dass der frühere Osten froh ist, dass Österreich keine Probleme macht.“

Die Ukraine hat seit ihrer Unabhängigkeit, das ist Tatsache, einen bewegten und konfliktbeladenen Weg hin zu einer demokratisch verfassten Gesellschaft durchlaufen (und sie durchläuft ihn immer noch). Umso mehr gilt es anzuerkennen, dass in der Ukraine Regierungen und Präsidenten gewählt und abgewählt wurden (und werden). Dass der demokratische Machtwechsel funktioniert. Diesen Umstand schlicht zu ignorieren und einen Bürgerkrieg in der Ukraine zu insinuieren, so wie Fischer das hier tut, ist schlicht unlauter und intellektuell unredlich.

Freilich, pflegt man ein Österreichbild, so wie es der Altbundespräsident hier offenherzig darlegt, dann darf die Schlichtheit nicht weiter wundern. Es spricht das ehemalige Staatsoberhaupt von Österreich wie von einem Kind, das eben keine „Sorgen“ und „Probleme“ macht. Nicht dem Westen, nicht dem Osten, die sich darüber wahlweise freuen oder darüber froh sind. Österreich als eine Insel der Seligen inmitten der Stürme der Gegenwart, ein politisches Nullum. Ein Gebilde, das niemals handelt, nie Subjekt, sondern ausschließlich Objekt ist. Ein Staatswesen, das am liebsten nie und nirgendwo anecken will, überall gerne mit von der Partie aber niemals initiativ oder gar verantwortlich ist. Ein Opportunist par excellence.

So ist Österreich nicht (um den aktuellen Bundespräsidenten zu paraphrasieren). So sind vor allem die Verhältnisse nicht mehr. Der „Osten“, den Fischer im Interview als Gegensatz zum „Westen“ bemüht, ist heute ausschließlich das imperialistische Russland, wie Putin es geformt hat. Die Republik ist Mitglied der Europäischen Union und mithin in einem politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich vollkommen anders gearteten Umfeld eingebettet als sie es in den Jahren zwischen 1955 und 1989 war. Und so wie das Parlament sich geändert hat, in seiner Arbeit und seinem Selbstverständnis (auch in dieser Hinsicht ist das Gespräch mit Fischer lesenswert), so hat sich Österreich verändert und mit ihm Europa und die Welt.

Dass Fischer der Welt von gestern nachhängt, das mag seiner politischen Biographie geschuldet sein. Dass er die Rezepte von gestern zur Lösung der Probleme von heute empfiehlt, ist fragwürdig. Dass es ihm die österreichische Sozialdemokratie darin gleich tut, das ist zukunftsvergessen. Und das ist noch milde ausgedrückt. (fksk, 29.01.23)