Hillary Clinton

Woche 37 – Die lieben Nachbarn

Acht Wochen noch, dann sind die US-Präsidentschaftswahlen geschlagen. Ob sie entschieden sein werden, steht dahin. Acht Wochen noch, während derer das Stakkato an Tweets, Schlagzeilen, Auf- und Erregung sich täglich noch mehr steigern wird. Acht Wochen, in denen es nicht mehr um das Überzeugen oder die Macht des besseren Arguments gehen wird, als vielmehr darum, die eigenen Wähler zu mobilisieren. Auf Teufel komm raus.

© envision film, Susanne Brandstätter

© envision film, Susanne Brandstätter

Donnerstag abends, Wien. Im Metro Kino läuft „This Land Is My Land“ von Susanne Brandstätter. Ein bemerkenswerter Film. Brandstätter, in den USA geboren und aufgewachsen, seit Jahrzehnten in Europa beheimatet, sucht Trump Wähler auf. Zu seiner Amtseinführung, zu den ersten hundert Tagen im Amt und dann noch einmal, 2018, zu den Midterm Elections.

Sie lässt sie reden. Erklären, weshalb sie diesen Mann nicht nur gewählt haben, vielmehr weshalb sie ihm so sehr vertrauen. Brandstätter hört zu, die Kamera zeichnet auf, weshalb auch das Publikum nicht anders kann, als zuzuhören und zu sehen.

Es ist alles vertraut. Die Menschen, die Brandstätter im Swingstate Ohio aufsucht, diese Menschen gibt es exakt so hier in Europa, in Österreich, Deutschland, Frankreich, Portugal und Schweden. Es sind unsere Nachbarn. Keine monströsen Gestalten, keine Karikaturen.

Vor allem, sie meinen es ehrlich. Es eint sie das über lange Zeit gewachsene Gefühl, dass diesem Land etwas verloren gegangen ist. Die Einheit. Die Sicherheit geordneter Verhältnisse. Dass das, was ihnen wichtig war und ist nicht nur in Frage gestellt, sondern in Abrede gestellt wird. Hillary Clinton hat sie einmal als „Deplorables“ bezeichnet. Sie hat das nicht im Sinne von „bedauernswert“ oder „beklagenswert“ gemeint als vielmehr im Sinne von „elend“, „kläglich“, von „erbärmlich“.

© envision film, Susanne Brandstätter

© envision film, Susanne Brandstätter

Susanne Brandstätter hingegen versucht zu verstehen. „Meine goldene Regel war: Streite nicht, höre zu. Eine Regel, an die ich mich gehalten habe – obwohl es oft nicht einfach war“, hält sie fest. „In meinem Versuch zu verstehen, warum diese Wähler für Trump waren, lernte ich sie auch kennen – ich tauschte mich mit unseren Protagonistinnen und Protagonisten aus und begann sie zu verstehen.

Dann passierte etwas Seltsames: Ich fing an, unsere Protagonisten zu mögen.“

Corona hat verhindert, dass Brandstätter dieses Jahr nochmals nach Ohio reisen konnte. Dennoch steht sie mit den meisten ihrer Gesprächspartner in Kontakt. Via Mail, via Skype. Bis auf einen jungen Mann werden sie wieder für Trump stimmen.

Im November vor vier Jahren soll Joe Biden zu Barack Obama gesagt haben, es wäre besser gewesen, er hätte anstelle von Hillary Clinton kandidiert. Regular Joe gegen The Donald. Er, Biden, hätte besser mobilisiert, die enttäuschten, tendenziell konservativeren Anhänger der Demokraten, die Arbeiter im Rust Belt, all jene, die in der Wahl zwischen Clinton und Trump die Wahl zwischen Pest und Cholera sahen, der sie sich durch ihr Fernbleiben von der Urne entzogen. Mit bekannten Folgen.

Donald Trump genießt unter seinen Anhängern ungebrochen Vertrauen und Zuspruch. Daran ändert seine Politik nichts und auch nicht seine erratischen Auftritte, seine Twittertiraden. Zustimmung und Ablehnung haben sich in den letzten vier Jahren nur marginal verändert. Wen Trump bis heute nicht überzeugt hat, den wird er nicht mehr überzeugen. Gleiches gilt für Biden.

Alles, worum es jetzt geht, ist die Mobilisierung der Indifferenten, der Zögerlichen, jener, die 2016 nicht zur Wahl gegangen sind in den Swing States, in denen wenige tausend Stimmen über die Präsidentschaft entscheiden. Es wird laut werden und schrill in diesen Bundestaaten und weit darüber hinaus.

Viel schriller als es auch den Protagonisten in „This Land Is My Land“ lieb ist. Eigentlich wünschen sie sich einen Präsidenten, eine Politik, die wieder vereint, die Brücken baut und Gräben, tiefe Gräben, überwindet. Einfach, indem man einander wieder zuhört, ohne vorab zu urteilen.

„Das bedeutet nicht“, so Brandstätter, „dass wir nachgeben müssen, wenn es um Streitpunkte geht, die für uns wichtig sind – oder, dass wir unsere Grundwerte in Frage stellen. Aber es bedeutet, dass wir lernen mit der anderen Seite zu kommunizieren – dass wir mit den Ursachen unserer Spaltung lernen umzugehen, anstatt sie nur zu verdrängen.“

Das gilt für die USA wie es für die europäischen Demokratien gilt. (fksk, 12.09.20)

 

„This Land Is My Land“ ist derzeit in Kinos in ganz Österreich zu sehen. Informationen unter thislandismyland-film.com