Lawrow

Woche 10 – Gewissheit im Ungewissen

Der Krieg geht in seine dritte Woche. Einheiten der Armee der Russischen Föderation belagern, bombardieren und hungern ukrainische Städte aus, mehr als zwei Millionen Menschen fliehen in benachbarte westliche Länder derweilen der russische Außenminister den Angriff seines Landes auf die Ukraine rundweg in Abrede stellt. Das zeugt von Konsequenz, als in Russland der Begriff „Krieg“ für das, was sich im Nachbarland abspielt, von Putins Regierung schlichtweg verboten worden ist. Aus der Welt schaffen lässt sich der Krieg in der Ukraine dennoch nicht. So wenig wie seine Folgen.

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Die Welt sortiert sich neu. So viel lässt sich sagen.

Da ist der klassische Krieg in der Ukraine, den die internationale Gemeinschaft, wenn sie ihn schon nicht beenden kann, so doch auf das Land eingrenzen will. Die Gefahr einer Eskalation ist real, also müht sich der Westen bei aller Parteinahme für die Ukraine unausgesprochen rote Linien nicht zu überschreiten.

Ungeachtet dessen hat der Krieg jenseits der ukrainischen Grenzen binnen kürzester Zeit die Dimension eines weltumspannenden Wirtschaftskriegs angenommen. Dies ist nun eine Auseinandersetzung, die keine Neutralität anerkennt, vielmehr klare Bekenntnisse und Taten einfordert. Wenigstens in Europa.

Putin hat sich in vielem verschätzt. In der Bereitschaft und Fähigkeit der Ukraine, seiner Armee effizient und vor allem effektiv Widerstand zu leisten. Er hat sich indes auch in der geradezu verzweifelten Bereitschaft der Europäer und Amerikaner, Sanktionen, die im eigenen Lager Kollateralschäden nach sich ziehen, auszusprechen, vertan.

Nie zuvor hat es ein so umfassendes Bündel derart präziser Maßnahmen gegeben – die immer noch als zu unpräzise, zu sanft und unentschlossen kritisiert werden. Nie zuvor waren sie in so kurzer Zeit so folgenreich. Allein der Umstand, dass die russische Zentralbank keinen Zugriff mehr auf ihre, im Westen geparkten, Währungsreserven mehr hat, schickt die rapide isolierte russische Wirtschaft auf eine rasante Talfahrt. Das Risiko eines Gegenschlags in Form eingestellter Öl- und Gaslieferungen in die Union ist sehenden Auges eingegangen worden. Indem die Union jetzt auch noch ankündigt, ihre Energieabhängigkeit von Russland schrittweise und so schnell als möglich zu beenden, macht sie Moskau die Aussicht auf künftige Einnahmen auch langfristig zunichte. Ob China sie substituieren kann, bleibe vorerst dahingestellt.

Bei aller Ungewissheit darüber, was kommt, diese Entwicklung zeichnet sich ab: Die Weltwirtschaft beginnt sich entlang politischer Bruchlinien neu zu sortieren. Hier die Volkswirtschaften der USA, der EU, Japans, Kanadas, Großbritanniens, Südkoreas und auch Singapurs. Dort jene Russlands und – nolens volens – Chinas. Die Globalisierung als Hohelied des Freihandels, der weltweiten Investitionen nach dem Gebot der Opportunitätskosten und der immer engeren Zusammenarbeit über alle Grenzen hinweg, stößt jäh an Grenzen. In Hinkunft ist es nicht mehr die Politik, die der Wirtschaft optimale Voraussetzungen zu bieten und zu schaffen hat, es ist die Politik, die ihr Primat wieder in Anspruch nimmt und damit die Wirtschaft in die Pflicht.

Moskau hat diese Entwicklung in ihrer ganzen Bandbreite bereits erkannt. Und spricht konsequenterweise schon von der „scheinbaren Neutralität“ Österreichs. Damit sorgt ausgerechnet das Außenministerium unter Sergej Lawrow für eine Klarheit, die in Österreich – noch – verweigert wird. In diesem Konflikt zwischen Russland und dem Westen gibt es keine Neutralität, weder in Hinblick auf die Werte, nicht in wirtschaftlichen Belangen und letztlich auch nicht in sicherheitspolitischen.

Floskelfrei formuliert: Russland hat festgestellt, dass es Österreich nicht mehr als neutralen Staat sieht. Sondern als Partei in der Koalition der „unfreundlichen Staaten“.

Dass die Vorsitzende der österreichischen Sozialdemokratie daraufhin die Neutralität als „wertvoller denn je“ wertet und sie als „nicht verhandelbar“ bezeichnet, mag im Einklang mit der Mehrheit der österreichischen Bevölkerung stehen, es entspricht nur nicht mehr der Faktenlage. So verständlich es ist, angesichts der vielen Ungewissheiten nach sicherem Terrain zu suchen, so fatal ist es, sich dabei ausgerechnet auf ein über die Jahrzehnte ausgehöhltes Konzept zu berufen und die dringend notwendige Debatte dogmatisch zu verweigern. Die Gewissheiten von gestern haben keine Geltung mehr, Österreichs Neutralität ist Geschichte – spätestens seit dem 24. Februar 2022. Es ist an der Zeit, sich das einzugestehen. (fksk, 13.03.22)