Der Schal des Anstoßes

Er hat es wieder getan. Viktor Orban provoziert. Diesmal mit einem Fußballfanschal in den ungarischen Farben und mit einem Ungarn in den Grenzen des 1.1.1918. Mithin mit einem Ungarn, das Regionen seiner Nachbarländer Österreich, Slowakei, Ukraine, Rumänien, Serbien und Kroatien beinhaltet. Dass das in der Ukraine, die sich in einem Krieg mit einem landhungrigen Nachbarn sieht, auf Empörung stößt, ist verständlich und nachvollziehbar. In Österreich hat das Außenministerium mit trockenem Humor reagiert und festgestellt, dass die transleithanische Reichshälfte seit mehr als 100 Jahren nicht mehr existiert. Damit ist denn eigentlich auch alles gesagt zum Schal des Viktor Orban.

Trotzdem gehen, auch bei den einen oder anderen in Österreich, die Emotionen hoch. Womit Orban wieder einmal sein Ziel erreicht hat. Provokation und Krawall, um von seinen viel fragwürdigeren Politiken abzulenken, seien es die bewussten Defizite in Belangen der Rechtsstaatlichkeit, der mindestens fragwürdige Einsatz von EU-Geldern, die wiederholte Blockade wichtiger EU-Beschlüsse, die gezielte Einschränkung der Medienvielfalt, das Liebäugeln mit Putins Positionen und was der Themen mehr sind. Es gäbe also viel zu behandeln. Nicht aus der Emotion heraus, vielmehr präzise vorbereitet, fundiert argumentiert und frei von wohlfeiler Empörungshaltung, stattdessen mit scharfem Witz.

Dann würde offenbar, dass Orban ein Scheinriese ist, der sich Macht und Einfluss erträumt, wie ihn einst Transleithanien innerhalb der Donaumonarchie beanspruchte. (fksk, 23.11.22)

Eine Wahl und ein Todesfall

Wenn da nur nichts schief geht. Zur Wahl des Bundespräsidenten treten an: der Amtsinhaber, ein junger Mediziner, Bezirksrat und Satiriker, ein Kandidat der FPÖ, ein ehemaliger FPÖ/BZÖ-Politiker und Dauergast einer Trash-TV-Dauertalksendung sowie der Obmann der Impfgegner und Putinadoranten.

Die Parlamentsparteien ÖVP, SPÖ und Neos stellen niemanden auf. Die Grünen sammeln sich hinter dem Amtsinhaber.

So weit so bekannt. Eine Gegenkandidatur wird in Österreich gewissermaßen als Majestätsbeleidung betrachtet. Und ist also verpönt. Das hat Tradition.

Nur, was ist, wenn was passiert?

Wenn das Unerwartete passiert. Das Ableben des Amtsinhabers während der Wahlkampagne.

Was dann?

Die Wahl neu aufsetzen, Kandidaten nachnominieren? Das wird nicht gehen, denn es gibt Kandidaten. Und es gibt Fristen, die einzuhalten sind. Das heißt, fällt der Amtsinhaber aus, haben die Österreicherinnen und Österreicher die Wahl zwischen drei Rechtsaußenkandidaten und einem engagierten Bezirksrat.

Und das nur des „Respekts vor dem Amtsinhaber“ wegen.

Lang lebe Van der Bellen.

Lang lebe er. Um alles in der Welt. (fksk, 27.06.22)

Eine Korrektur: Das Bundespräsidentenwahlgesetz von 1971 hat für diesen Fall vorgesorgt und sieht in § 8, Absatz 4 eine Verschiebung der Wahl und eine neue Kandidatur anstelle des oder der Verstorbenen vor.

Dank an Thomas Freundorfer für den Hinweis. (fksk, 7.7.22)

Ampelträume, nüchtern betrachtet

Es muss, was rein rechnerisch sich ausgehen mag, politisch noch immer nicht realistisch sein. Etwa die Ampel in Österreich. In Umfragen hätten Rot, Grün und Pink derzeit eine Mehrheit im Nationalrat. Laut Umfragen wäre eine derartige Koalition bei nicht wenigen Menschen in Österreich auch wohlgelitten. Weswegen Wohlmeinende Neuwahlen kaum erwarten können.

Allein, die Wirklichkeit sieht anders aus.

Die Vorsitzende der österreichischen Sozialdemokratie dekretiert dieser Tage, es mögen andere über die Neutralität reden, sie denke nicht daran an der Debatte teilzunehmen. Und, fügt sie hinzu, sie wolle, hoffe, dränge auf eine diplomatische Lösung des Kriegs in der Ukraine.

Die Vorsitzende der österreichischen Liberalen stellt die Neutralität durchaus in Frage, drängt auf eine inhaltliche Debatte, verweist auf durch den Krieg in der Ukraine veränderte Rahmenbedingungen in der Sicherheitspolitik. Und hofft auf einen militärischen Erfolg der Ukraine.

Der Vorsitzende der österreichischen Grünen schweigt. Und spielt also keine Rolle.

Wenn aber zwei potentielle Partner in einer Grundsatzfrage so sehr divergieren, wenn der eine nicht reden will, wo der andere Gesprächsbedarf sieht, dann fehlt es an Gemeinsamkeit. Und das ist nicht die einzige Divergenz. Von Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik ist hier noch nicht einmal die Rede. In diesen Feldern geben sich die Sozialdemokraten durchaus pointiert. Nur teils ganz und gar anders gelagert in Zugang, Wissen und Schlussfolgerungen als die Liberalen. Der Gemeinsamkeiten sind, nüchtern betrachtet, nicht viele.

Eine Ampel in Österreich mag dem politischen Farbenspiel dienen, sie mag Wähler mobilisieren und Kommentatoren beflügeln, Aussicht auf Realisierung hat sie kaum. Dazu sind die Sozialdemokraten schlichtweg zu konservativ.

Ihnen bleibt die ÖVP. Wie immer. (fksk, 30.05.22)

Was die Menschen nicht wollen

Die Schweiz evaluiert ihre Sicherheitspolitik und erwägt eine engere Zusammenarbeit mit der Nato. Finnland und Schweden treten dem Nordatlantikbündnis bei. Und in Österreich berufen sich Regierung und Opposition darauf, dass zwischen 80 und 90 Prozent der Bevölkerung die Neutralität beibehalten und der Nato nicht beitreten wollen, und also den Wünschen der Bevölkerung Rechnung zu tragen und eine Debatte über die österreichische Sicherheits- und Neutralitätspolitik nicht zu führen sei. Weil die Menschen das nicht wollen.

Die Menschen wollen auch keine Steuern zahlen.

Sie wollen keine korrupten Strukturen.

Sie wollen keine Zweiklassenmedizin.

Alles das ist legitim. So wie jede Diskussion, jede Debatte. Zumal wenn es um politische Inhalte geht, um eine Evaluierung althergebrachter Handlungsmuster, um Verbesserungsmöglichkeiten, um Perspektiven. Und um eine klare, erkennbare Strategie.

Demokratie heißt, den Menschen auch etwas zuzumuten. Etwa fundiert und frei von Polemik die Neutralität des Landes auf den Prüfstand zu stellen, die sicherheitspolitischen Voraussetzungen zu analysieren, und – Tatsachen als Tatsachen zu benennen, wenn es um das überaus aktive und solidarische Verhalten Österreichs in der Zusammenarbeit mit den EU-Militärstrukturen und der mit der Nato-Partnerschaft für den Frieden geht.

Tatsache ist, Österreich ist kein sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer. Die Republik, allen voran ihre Soldaten, leisten aktiv ihren Beitrag. In Bosnien-Herzegowina, in Kosovo, in Mali, im Libanon, im Irak, und und und.

Es ist, vollkommen unabhängig vom Krieg in der Ukraine, wenngleich durch ihn initiiiert, an der Zeit, diese Debatte zu führen. Um der Ehrlichkeit willen. Für manche mag das verstörend sein. Das nennt man dann Politik. (fksk, 17.05.22)

Zadic, Raab und Roscic

Als Bogdan Roscic nach Österreich kommt, sorgt eine Kampagne für Aufsehen: „I haaß Kolaric, du haaßt Kolaric. Warum sogn´s zu dir Tschusch?“. Einwanderung, Zuwanderung, Integration sind schon zu des seligen Kreisky Zeiten ein heikles Thema. Bogdan Roscic, wie viele andere auch, nutzt die Chancen, die sich ihm bieten. Er maturiert, wird Journalist, wird Radiochef, wird zum meistgehassten Mann der Austropopfans, geht nach New York und kehrt als Direktor der Wiener Staatsoper wieder.

Die Geschichte der Alma Zadic ist im letzten Jahr wiederholt und auch international erzählt worden, die Geschichte einer jungen Frau, die mit ihrer Familie dem Krieg in Bosnien entfloh, in Österreich, ganz so wie Roscic und viele andere auch, ihre Chancen nutzte, Juristin wurde und Parlamentarierin und jetzt als Justizministerin agiert.

Zwei Geschichten von vielen. Zwei Geschichten, die erzählen, was in Österreich alles möglich ist. Wenn die Angebote vorhanden sind, wenn Möglichkeiten Raum geboten wird. Zwei Geschichten, die erzählen, wie Integration Österreich reicher macht. An klugen, zielstrebigen, kritischen, weltoffenen Menschen.

Susanne Raab ist Integrationsministerin. Sie sieht in erster Linie Hürden, große Herausforderungen und einen langen steinigen Weg. Nicht falsch verstehen, Integration ist nicht einfach. Für niemanden. Nicht für die Alteingesessenen, nicht für die Zuwanderer. Aber sie lässt sich als erstrebenswert darstellen. Sie kann erstrebenswert werden. Wenn Geschichten wie jene von Frau Zadic und Herrn Roscic erzählt werden. Frau Raab könnte auch diese Geschichten erzählen. Sie tut es nicht. Schade. (fksk)

Verräumte Geschichte

Das Haus der Geschichte Österreich ist endlich und es ist ein Provisorium. Auf zu wenig Platz in der Neuen Hofburg, ein wenig im Eck, ein bisschen ein Anhängsel der Österreichischen Nationalbibliothek, aber es ist. Das ist denn auch gut.

Es wäre freilich nicht Österreich, gäbe es keine Parallelaktion. Niederösterreich hat, eingegliedert in das Museum Niederösterreich, sein eigenes Haus der Geschichte. Dessen Umsetzung ging schneller als jene der Republik. Aber das war den niederösterreichischen Verhältnissen geschuldet.

Jetzt zieht das Burgenland nach. Mit einem Haus der Zeitgeschichte. In leitender Verantwortung ein ehemals politischer Hoffnungsträger, der vom nachfolgenden Hoffnungsträger ins Ausgedinge geschickt wird.

Es fehlen nun noch ein oberösterreichisches, ein steirisches, ein Salzburger, ein Kärntner, ein Tiroler und ein Vorarlberger Haus der Geschichte. Aber das wird noch.

Das ist wahrer Föderalismus, jedes Bundesland erzählt seine Sicht der Geschichte, die Republik die ihre. Das ist Mut zur Differenzierung. Oder es ist die zu Museen gewordene Uneinigkeit über die gemeinsame Geschichte, der Versuch, eine regionale Erzählung der Vergangenheit qua Museum gleichsam zu zementieren.

Möglicherweise steckt hinter dem Museumsboom subkutan noch eine weitere Intention: Die Geschichte wird – in Vitrinen, Ausstellungen und Exponate sorgsam verpackt – ins Museum und aus dem Alltag verräumt. Auf dass sie endlich nicht mehr störe.

Wenn es denn so einfach wäre. (fksk)