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Woche 40 – Wetterleuchten der Konflikte

Trump ist krank. Die Corona-Infektionen steigen. Und alles wartet, bangt und hofft. Hofft, dass dieses Jahr sich doch noch zum Guten wendet, der Spuk wieder vorbei ist. Spätestens zur Jahreswende, also irgendwann zwischen November und Jänner; dass dann alles wieder wird. Wenigstens halbwegs und nicht mehr so nervenaufreibend.

Nichts wird wieder so. Nicht, dass eine Zeitenwende anstünde, von der im März und April viel und oft die Rede war. Nur der Fokus, das grelle Scheinwerferlicht, mit dem der Virus und die USA ausgeleuchtet werden, verhüllt mehr, als es zeigt. Im Schatten und im Dunkel jenseits des Lichtkegels geschehen entladen sich Spannungen, die nur dann und wann und kurz Aufmerksamkeit erregen.

© Johannes Plenio / unsplash.com

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Zum Beispiel Taiwan. Steve Tsang, Direktor des SOAS China Institute an der University of London, schätzt die Möglichkeit einer chinesischen Intervention auf der Insel ab November höher als je zuvor. Wenn der Ausgang der Präsidentschaftswahl am 3. November umstritten ist, die USA in einem Zustand verfassungsrechtlicher Auseinandersetzung gelangen und außenpolitisch gelähmt sind: „Peking würde darin eine Gelegenheit sehen, die nur alle tausend Jahre wiederkehrt“. Die Möglichkeit, sein Gebiet und seine Gebietsansprüche auf essentielle Seewege substantiell zu erweitern. Sowie die Chance, ein Beispiel chinesischer Demokratie zu tilgen.

Tatsächlich verschärft die Volksrepublik über die letzten Wochen nicht nur ihre Rhetorik gegenüber Taiwan, sie testet zusehend auch Grenzen aus. Ihre Marineverbände queren demonstrativ jene Linie in der Straße von Taiwan, die zwischen Peking und Taipeh als Demarkationslinie gilt. Nicht, um in der Tat und jetzt sofort anzugreifen, aber um Selbstbewusstsein zu demonstrieren. Und – um die amerikanische Reaktion zu prüfen. Die besteht bisher darin, einige wenige Schiffe in die Meerenge zu entsenden. Washington ist anderweitig beschäftigt.

Zum Beispiel Berg Karabach. Was aus europäischer Perspektive wie ein Konflikt weit hinten im Kaukasus und damit weit, weit weg erscheint, hat das Potential eine ganze Region in Brand zu setzen. Nach der Unabhängigkeit Armeniens und Aserbeidschans kam es bereits zum Krieg um die armenische Enklave in Aserbeidschan. Ein Konflikt, aus dem Armenien gestärkt hervorging und Berg Karabach als beinahe von Aserbeidschan losgelöste Region. Seither und damit fast 30 Jahre lang herrscht ein eiskalter Friede. Anders ausgedrückt, ein eingefrorener Konflikt.

Jetzt wird wieder gekämpft. Doch diesmal sind nicht nur Armenier und Aserbeidschaner beteiligt, vieles deutet darauf hin, dass die Türkei Baku mit Material und Mannschaften versorgt. Russland verhält sich abwartend, die USA engagieren sich gar nicht, selbst die Europäer verhalten sich, als ginge sie das alle gar nichts an. Man hat mit eigenen Problemen zu tun. Der Kaukasus ist fern.

Zum Beispiel die indisch-chinesische Grenzregion im Himalaya, wo indische und chinesische Grenztruppe im Sommer aneinandergerieten. Mit Steinen und Felsbrocken, geradezu archaisch. Wobei man sich die Folgen nicht ausmalen möchte, sollten die beiden Staaten tatsächlich in einen Krieg schlittern. Wobei es wichtig wäre, sich gerade diese Folgen auszumalen, um im Fall des Falles wenigstens diplomatisch noch agieren zu könne, um als Makler anerkannt und genutzt zu werden.

Zum Beispiel die Ägäis und das östliche Mittelmeer, in dem die Türkei ein ums andere Mal ihre Ansprüche rüde durchzusetzen sucht, was von Griechenland nicht minder rüde und von der Europäischen Union mit der demonstrativen Verlegung französischer Geschwader zum einen mit drängenden deutschen Gesprächsreigen zum anderen beantwortet wird. Die USA, als Nato-Verbündeter beiden Staaten verpflichtet, sind abwesend.

Donald Trump hat vor vier Jahren versprochen, die Truppen der USA nach Hause zu bringen, sich aus den Kriegen und Konflikten der Welt zurückzuziehen, denn für ihn gilt „America first“. Nun mag dieser Rückzug absolut legitim sein, das schallende Desinteresse, welches die Trump-Administration den immer öfter aufbrechenden Konfliktlinien entgegenbringt, ist es nicht. Wo Washington sich herausnimmt, hinterlässt es Leerstellen, freie Räume. Mithin Möglichkeiten, Fakten zu schaffen. Und Fakten lassen sich militärisch schneller schaffen als auf jede andere Art und Weise.

Die Europäische Union unterdessen ist nach wie vor nicht in der Lage, auch nur annähernd und auch nur in den unmittelbar angrenzenden Regionen diese Leerräume zu besetzen und zu stabilisieren. Sie ist dazu weder politisch und schon gar nicht militärisch in der Lage.

Mit der amerikanischen Absenz, der europäischen Irrelevanz und dem weltweiten Fokus auf Corona und den 3. November, ergeben sich nun eben Chancen, alste Rechnungen zu begleichen. Ganz ungestört und effektiv. Die Auswirkungen des Jahres 2020 werden die Welt noch lange beschäftigen.

Dabei gibt es auch hoffnungsvolle Entwicklungen.

Zum Beispiel Mali. Der Militärputsch im August interessierte Europa gerade so weit, als es um die Sicherheit europäischer Truppen und Ausbilder im Land ging. Die USA interessiert er gar nicht. Dass die Nachbarstaaten der Westafrikanischen Wirtschaftsunion (ECOWAS) indes massiven Druck auf die Junta ausübten, so schnell als möglich und nicht erst in drei Jahren zu einer Zivilregierung zurückzukehren, wurde nur sehr am Rande, eigentlich fast gar nicht registriert. Dass afrikanische Länder sich offen in die inneren Angelegenheiten eines anderen einmischen, das hat immer noch Seltenheitswert. Dass die westafrikanischen Staaten mit dieser Tradition brechen und sich dabei unter anderem auf grundlegende Werte ihrer Union berufen – das sollte gerade die Europäer interessieren. Als eine gute Nachricht, die neue Perspektiven der Zusammenarbeit eröffnet. In Mali sind nun Zivilisten an der Übergangsregierung beteiligt. (fksk/4.10.20)