Gesellschaft

Woche 01 – Lasst Fakten sprechen

Als vor einem Jahr, am 6. Jänner 2021, ein Mob das Kapitol in Washington DC stürmt, verstummt dieses Update. Das, was da vor einem Jahr geschieht, ist so unbeschreiblich, dass es an Worten fehlt, es zu fassen. Von erklären kann schon gar nicht die Rede sein. Jede Analyse klingt hohl und fahl.

Bisweilen ist Schweigen besser.

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Zumal wenn das, was bisher noch als öffentlicher Diskurs galt, zusehend abgleitet in eine Frontstellung der Überzeugungen und Dogmen. Daran hapert es 2021 nun wirklich nicht. Man kann sich des Eindrucks nicht erwahren, dass der 6. Jänner den Ton für das gesamte Jahr setzt. Einerlei ob in den USA oder in Europa – oder auch in Südafrika und anderen Weltgegenden. Offenbar gilt vielen, genug geredet zu haben, jetzt schreitet man zur Tat.

Nun ist es nicht gerade journalistisch, aktuelle Geschehnisse nicht zu kommentieren, zu analysieren, einzuordnen oder zu hinterfragen. Manchmal freilich ist es besser, sich aus dem Chor herauszunehmen. Nicht die siebenhundertsechsundzwanzigste Stimme aus der hinteren Mitte zu sein, sondern einfach zuzusehen. Und versuchen, Abstand zu gewinnen. Jene Distanz, die notwendig ist, einen weiten Blick zu wahren. Das ist ein Luxus, den sich diese Plattform hier leisten kann (ein Medium, das auf Einnahmen angewiesen ist, kann sich Eskapaden dieser Art nicht erlauben).

Was sich daraus gewinnen lässt? Zuallererst die auf der Hand liegende Erkenntnis, dass die eigene Welterklärung niemandem fehlt. Zum anderen, dass es allem medialen Umbruch und der damit verbundenen ökonomischen Unsicherheiten zum Trotz ein unbändiges Bedürfnis gibt, über mediale Plattformen Einordnungen vorzunehmen, zu beschreiben, zu kommentieren und auch zu agitieren. Jedem Blickwinkel das Medium seiner Wahrheit.

Das ist die Lage. Das ist die Erwartungshaltung.

Daran ist nichts Neues. Was früher die Parteizeitungen waren, das ist heute die mediale Blase, die ihre Konsumenten in ihrer Weltsicht und -sicherheit bestätigt und ihnen jegliche Zumutung vom Leibe hält. Und ist diese nicht ganz abzuwehren, dann wird sie verunglimpft, als Lügenpresse. Oder als gekauft, voreingenommen, unter Druck gesetzt, manipuliert oder was der Möglichkeiten noch mehr sein mögen. Kurz, sie sind alles, nur wahr können sie nicht sein, dürfen sie nicht sein. Was nicht passt, wird passend gemacht.

Alles schon da gewesen, alles keine Sensation. In der Vehemenz, mit der diese Entwicklung um sich greift, liegt aber eine andere Qualität. Eine totalitäre Qualität, die selbst vor großen Blättern nicht Halt macht.

Wenn etwa ausgerechnet in der großen New York Times Redakteure, die als kontrovers gelten, gehen müssen. Wie zum Beispiel Bari Weiss, Redakteurin der Meinungsseiten, die bei der NYT einen stillen Konsens der Art konstatiert, „dass Wahrheit kein Prozess gemeinschaftlicher Entdeckung ist, sondern etwas Orthodoxes, das nur einer kleinen Gruppe von Eingeweihten bekannt ist, deren Job es ist, alle anderen zu informieren“. Oder wenn der Guardian sich einer Autorin entledigt, die die rigiden Kategorien rezenter Identitätspolitik in Frage stellt. Denn merke, gesäubert wird nicht nur von rechts. Den absoluten Wahrheitsanspruch stellt auch die Linke.

Es geht auch anders. Bislang war es, allein der Ressourcen wegen, eine vor allem amerikanische Spezialität, die von einigen deutschen Medienhäusern wie dem Spiegel oder dem Jahreszeitenverlag gleichfalls gepflegt wurde, der Faktencheck. Jene Abteilung im Haus, die jeden Artikel auf Herz und Nieren prüft, um nur keine Fehler oder Falschmeldungen in die Welt zu entlassen. Das Wiener Wochenmagazin profil hat mit faktiv einen Faktencheck eingerichtet, der Meldungen, Behauptungen und Aussagen auf den Zahn fühlt. Ein Service, welches auch die Austria Presse Agentur anbietet.

Das ist einer der vielen Aspekte verantwortungsvollen Journalismus´. Er geht den Dingen auf den faktischen Grund, vergleicht Aussagen und überprüfbare Tatsachen. Er leistet uneitel Aufklärung, indem er sich auf die Sache konzentriert und nicht auf die handelnden Personen. Das ist oftmals Kärrnerarbeit. Die Art von Arbeit, die nicht mit der großen Bühne, mit Licht, Lob, Lohnerhöhung und Auszeichnungen gedankt wird.

Und doch ist diese Arbeit essentiell, nicht nur für die Medien. Sie ist für die Gesellschaft unverzichtbar. Denn es gilt eine gemeinsame Basis zu schaffen, Wahrheiten zu definieren, über die Einigkeit besteht. Das Fundament muss außer Frage gestellt sein, über alles andere kann und darf gestritten werden.

Das klingt einfach. Ist es wenigstens derzeit aber nicht. Im Gegenteil. Es hat nicht erst der „alternativen Fakten“ aus Trumps engstem Umkreis bedurft, „meine Wahrheit“ steht seit längerem schon gegen „deine Wahrheit“. Was richtig ist, ist zu einer Anschauungssache geworden, zu einem individuellen Blickpunkt, der – selbst, wenn er in Widerspruch zu allen überprüfbaren Fakten steht – nach Anerkennung giert. Das Fundament, auf dem die Gesellschaften des Westens aufbauen, ist fragmentiert und brüchig.

Das zeigt sich bei den Demonstrationen und Aufmärschen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ebenso wie bei hitzigen Auseinandersetzungen rund um Fragen der Identitätspolitik oder des Postkolonialismus. Da wie dort fehlt es an grundlegender Übereinstimmung, um den Dissens in aller Härte und Konsequenz aber eben nicht zerstörerisch zu leben. Im Gegenteil scheint gerade die Zerstörung, die Eliminierung der Andersdenkenden zu einem vordringlichen Ziel zu werden. Um der eigenen Wahrheit zum Durchbruch und zum Sieg zu verhelfen.

Umso wichtiger ist es, dass Medien faktenbasiert arbeiten. Sie sind, nach wie vor, die wichtigsten Informationsquellen der großen Mehrheit. Sie werden Tag für Tag konsumiert, einerlei in welcher ihrer vielen Erscheinungsformen. Sie sind gelernt und es wird ihnen, nach wie vor, ein Grundvertrauen entgegengebracht. Also liegt es an den Medien, sich ihrer Position nicht nur als Übermittler von Nachrichten, sondern auch ihrer Position als Verstärker bewusst zu sein – und sich gezielt aus der Erregung herauszunehmen.

Medien sind Mittler. Sie sind keine Akteure. Das sollten sie auf gar keinen Fall sein. Getreu dem Diktum des deutschen Fernsehjournalisten Hanns-Joachim Friedrichs, wonach man einen guten Journalisten daran erkennt, dass er sich nicht mit einer Sache gemein macht. Auch nicht mit einer guten Sache. Friedrichs wird oft zitiert. Noch viel öfter wird er konkterkariert, als sich Journalisten durchaus mit einer Sache gemein machen. Aus Betroffenheit. Aus Sorge. Nach langer und reiflicher Überlegung. Um etwas zu bewirken.

Das wären die honorigen Gründe.

Die anderen wären, weil es sich einfacher lebt, weiß man sich auf einer Seite und mit ihr eines Sinnes. Oder weil es einem Zumutungen erspart, weil es lukrativ ist, oder auch weil es einfach nur befriedigt, anderen Menschen mit dem Brustton der Überzeugung zu sagen, wo es lang geht. Oder, weil es die persönliche Eitelkeit befriedigt, den Glauben stärkt, einflussreich zu sein. Und weil Emotion ebenso leicht von der Hand geht, wie sie sich konsumieren lässt.

Das heißt nicht, dass Medien frei von Meinung und Standpunkten sein sollten. Ganz im Gegenteil: Die Einordung aktueller Ereignisse und Entwicklungen muss kommentiert, gewichtet und gewertet werden. Gern mit heißem Herzen und kühlem Kopf mitreissend geschrieben, herausragend formuliert. Aber eben faktenbasiert.

Die Nachricht wiederum, die sollte, wie so oft gefordert, wie so oft betont und für sich reklamiert, der Nachricht allein verpflichtet sein. Ohne Wertung, ohne Attribute, ohne moralischen Unterton. Auch ohne Augenzwinkern zum p.t. Publikum, frei von Verbrüderung und unter-uns-Klugen-Gehabe. Freilich, dieses letzte Bild ist ein Zerrbild der Medien. So sind wir nicht, um Alexander Van der Bellen zu zitieren. So sind wir wenigstens nicht immer und nicht nur. Aber immer wieder und leider gar nicht so selten. Qualitäts- wie Boulevardmedien, der Versuchung erliegen sie alle.

Es ist an der Zeit Distanz zu üben, in aller Konsequenz. Um Fakten sprechen zu lassen. (fksk, 08.01.22)

Woche 48 – Höchste Zeit für Streit

Im Anfang war Mathias Horx. Und mit ihm war die Zuversicht, seine Worte waren schön und beruhigend und aufbauend. Corona, so befand der Zukunftsforscher im März schon auf den Herbst vorwärts rückblickend, habe unsere Gesellschaft entschleunigt, emphatischer und solidarischer werden lassen. Behände und optimistisch skizzierte er Möglichkeiten, die die Zumutungen der Selbstisolation vielen erträglicher werden ließen. So war denn auch die Stimmung der ersten Wochen freundlich, einander zugewandt und mit der Hoffnung versehen, dass alles bald wieder sein werde wie zuvor, nur besser, schöner und echter.

© Eli Maurer / unsplash.com

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Nichts da, es hat sich ausgehorxt.

Jetzt regieren Unmut, Überdruss und der zweite Lockdown. Ein dritter dräut am Horizont. Sebastian Kurz nennt das dann „Licht am Ende des Tunnels“.

Eine Coronaerkrankung, das wird immer öfter beschrieben, geht, auch wenn sie überstanden wird, oftmals mit Langzeitfolgen einher. Apathie, Müdigkeit, Kraftlosigkeit plagen die Genesenen, die sich also so gar nicht genesen fühlen, von gesund gar nicht erst zu sprechen.

Über die Tücke dieses Virus ist viel schon gesagt, geschrieben und gesendet worden. Mag sein, dass mit den neuen Impfstoffen die Wellen der Pandemie eingedämmt und gebrochen werden können, so dass wirklich Licht am Ende des Tunnels zu sehen ist.

Aber das ist nur ein erster Schritt, die Akutbehandlung.

Was bleibt, das sind die Langzeitfolgen. Nicht nur die gesundheitlichen. Die gesellschaftlichen. Der krude Mix aus Verschwörungsmythen, Esoterik und Globulibürgertum, die unerwarteten Allianzen rechts- und linksextremer Gruppierungen mit Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die sich in Angst und Wut vereint wiederfinden. Vor allem in Wut, ungezügelt, ungehemmt.

Das Virus, auch das schon tausendfach festgehalten, wirkt wie ein Brennglas. Es legt schonungslos die Bruchstellen unserer Gesellschaft frei. Den einen ist es ein Turbo der Veränderung, den anderen ein Brandbeschleuniger.

Und Bruchstellen gibt es, zumal in den westlichen Gesellschaften, zuhauf. Was einmal galt, das gilt nicht mehr. Die Sicherheit, in der besten Welt auf diesem Planeten zu leben, ist perdu. Was nach Wiederaufbau und Wirtschaftswunder schlichtweg als gegeben schien, als garantierte Zukunftsperspektive, ist stückchenweise abhandengekommen. Arbeit zu haben, wenn man denn welche hat, bedeutet nicht mehr steigenden Wohlstand. Bildung nicht mehr sozialen Aufstieg. Die Konkurrenz nimmt auf allen Ebenen zu, wird hart und immer härter.

Die Entwicklungen überschlagen sich, heute dominiert die digitale Transformation das Geschehen, morgen die Potenziale der Gentechnologie und die ganz Zeit über Klimawandel, Artensterben und demografischer Wandel.

Die Welt ist, wenigstens aus westlicher Sicht, kein heimeliger Ort mehr. Sie ist es, das ist die Crux, spürbar nicht mehr. Abgehängt zu sein, das ist nicht nur ein Gefühl, für viele, für zu viele ist es schlichtweg Realität.

So weit so bekannt.

Eine schnelle Lösung ist indes keine in Sicht. Stattdessen Flickschusterei hier und da und dort. Damit mag in ruhigeren Tagen ein wenig Zeit gewonnen werden. In einer Krise, angesichts einer weltweiten Pandemie, deren Folgen nicht und nicht abzuschätzen sind, nicht mehr. Dann bricht mit Vehemenz auf, was bislang notdürftig zugedeckt worden ist.

Gut so, es ist hoch an der Zeit zu streiten. Konstruktiv und leidenschaftlich.

Gerade die Pandemie zeigt, was möglich ist. Nie zuvor ist in so kurzer Zeit, so schnell an Therapien und Impfungen geforscht und gearbeitet worden. Erfolgreich, über alle Grenzen hinweg, von kleinen Einheiten und großen Unternehmen. Dass jetzt, nach zehn Monaten, mindestens zwei vielversprechende Vakzine zur Verfügung stehen, dass sie im Lauf der kommenden Monate auf breiter Basis zum Einsatz kommen können, das kann als Anstoß wahrgenommen werden, endlich auch die großen Themen, die so sehr drücken, zu verhandeln. Um zu einem erneuerten, zu einem neuen Konsens und Gesellschaftsvertrag zu finden.

Einfach ist das nicht. Ebenso wenig wie schnell getan. Gesellschaftliche Debatten, so sie ernsthaft und in der Tiefe geführt werden, brauchen Zeit. Sie brauchen Engagement und sie brauchen Orte, an denen sie geführt werden können. Vor allem müssen sie ehrlich geführt werden, ohne Vorbedingung und ohne im Vorhinein schon zu wissen, was letztendlich dabei herauskommen soll und muss.

Darin aber besteht die Möglichkeit, als Gesellschaft wieder gestaltend tätig zu werden, Trends aktiv zu prägen, anstatt von ihnen geprägt zu werden. Um zu einem neuen Selbstverständnis und Konsens zu gelangen. (fksk/27.11.20)